Da saß ich nun: Den schmerzenden Fuß hoch und weich gelagert und fragte mich, was man, so zum Stillstand verdammt, am Besten tun kann.
Netflix, sagte ich mir, weiß Bescheid. Und ich wühlte mich durch die Serien, bei denen ich dummerweise auf dem Laufenden war. Weil es ziemlich nett ist, neben allerhand Verrichtungen einen scheinbar endlosen Film laufen zu lassen. Irgendwie ist alles plötzlich nicht mehr so langweilig, wenn nebenher eine Geschichte erzählt wird.
Die Gilmore-Girls hatte ich vor Jahren gesehen, bei der Erstausstrahlung, aber jetzt nicht so prickelnd gefunden, dass ich jemals das Bedürfnis empfunden hätte, sie erneut und mit geballter Wucht zu sehen. Gleichwohl, jetzt, in dieser misslichen Lage, schienen sie mir in ihrer erinnerten luftigen Leichtigkeit genau richtig. Nichts, was mein Denken unnütz beschwert.
Es stellte sich, wie so oft bei am Stück gesehenen Serien, zunehmend ein vollkommen anderes Gefühl ein. Von Staffel zu Staffel wich die seinerzeit gefühlte Leichtigkeit dem Einblick in eine Denkwelt, die sich als fremd heraus stellte.
Geld als Mittel zum Zwang, nonkonforme Lebensweisen auch und gerade in der Familie „zum Guten zu wenden“. Geringschätzung, Liebesentzug und Einmischung in persönliche Angelegenheiten der ganz oder fast erwachsenen Kinder und Kindeskinder als unvermeidliche Methode, um den eigenen Ruf nicht zu schädigen.
Kurzum: Immer wieder steht der Schein, der ganz bestimmten Regeln zu folgen hat, dem tatsächlichen, durchaus ehrbaren Sein entgegen.
Zurück lässt diese Lebensart sprachlose Menschen, die nicht in der Lage sind, in Partnerschaften geradlinig und ehrlich zu agieren. Immer wieder führt (Ver)Schweigen zum Scheitern in Beziehungen, zu Enttäuschungen, Unglück, Neuanfang. Welcher nicht minder enttäuschend endet.
Nebenher ein Eindruck davon, was zwanzig Jahre im heutigen Leben ausmachen.
Während man sich irgendwann zu Beginn der Serie noch darüber erregt, dass die Großmutter unabgesprochen einen neuen, schnelleren Internetanschluss für die Enkelin veranlasst, greifen internette Kommunikation und moderne Technik (Handys) zunehmend Raum. Anfangs und noch einige Zeit später mit dem gebührenden Erstaunen, das uns alle damals bewegt haben mag, inzwischen aber der Alltäglichkeit längst gewichen ist. Man wundert sich über die Handys, die Bilder übertragen, und fragt sich, warum die Leute nicht (mehr) in Bibliotheken gehen, wenn sie etwas wissen wollen.
Die Serie endet, wie die tatsächliche Seriendauer, nach ca. 7 Jahren mit dem Yale-Abschluss der Tochter und gescheiterten Beziehungen ( Tochter drei, Mutter vier) und lässt ein schales Gefühl zurück. Da haben sich die beiden so angestrengt und doch ist da irgendwie nicht das Gefühl eines Happy Ends. Die Mutter hat nicht zu ihrer großen Liebe gefunden, obwohl sie das nach all den Anstrengungen doch verdient hätte. Und was aus der Tochter wird, ahnt man nicht einmal.
Dass Netflix nahtlos weiter swicht, erstaunt gerade deshalb. Man ahnte nicht, dass da noch etwas kommt, dass das Sequel ganz natürlich da ist.
Selbiges spielt zehn Jahre später. Die Tochter ist nun 32, die Mutter 48, der Großvater ist vor Kurzem gestorben, die Großmutter in tiefer (echter) Trauer und kurz davor, alle eigenen Lebensstandards fallen zu lassen, indem sie sich gehen lässt und Zeichen von Demenz, mindestens aber Desinteresse zeigt.
Das Sequel ist als Miniserie deklariert: Vier Teile in Spielfilmlänge (90 Min.), benannt nach den Jahreszeiten. Und mit erstaunlich großen Themen beladen.
Da wäre die Frage, was wird im wahren, echten Leben aus unseren großartig ausgebildeten jungen Menschen?
Wie kommen alte Menschen mit sich und ihrem Leben klar, wenn wichtige Teile wegbrechen? (Hier: Verlust des Partners. Aber schon in der Serie tauchte das Problem auf, als der Großvater plötzlich ohne Arbeit war.)
Wie sieht das Leben in jahrelangen Beziehungen aus? Langeweile, Routine, Selbstverständlichkeit … wie geht man damit um?
Das Ganze (für mich befremdlich) immer wieder in surrealen Bildern und Sequenzen dargestellt, angereichert mit musikalischen Einlagen, wie es sie in der Hauptserie nie gab.
Längst haben die GG ihre Leichtigkeit verloren, was uns Zusehern klar macht (aber das wissen wir ja selbst), dass Leben und Älterwerden keine wirklich spaßige Sache sind. Alle, auch die Menschen mit Geld, haben mit diesem Phänomen zu tun, was nicht wirklich tröstet. Dass am Ende alles doch noch irgendwie gut geht (nein ich spoilere nicht und mutmaße auch nicht über eine Fortsetzung, wie sie bei Fans in aller Munde ist), kann die Schwermut des Sequels nicht aufheben.
Mein Fuß? Dem geht’s besser. Meine Seele … ? Wenn nicht einmal die Gilmore-Girls bis zum Schluss fröhlich sein können, was soll dann ich sagen?