Silvester 1995

Es war eine traurige Weihnacht für Philipp gewesen. Schon Wochen vorher hörte er, wenn er abends im Bett lag, dass sich die Eltern stritten. So laut und so lange, wie sie nie zuvor gestritten hatten. Und drei Tage vor dem Fest hatte der Vater die Tasche gepackt und war gegangen.
Danach war die Mutter zu ihm gekommen und hatte ihm erklärt, dass sie und der Vater sich nicht mehr lieb hätten.Was aber mit ihm, Philipp, nicht das Geringste zu tun hätte. Sein Vater war und bliebe sein Vater.
Aber der Vater war und blieb fort. Unterm Weihnachtsbaum, bei der Bescherung, holte die Mutter ein Päckchen hervor. Das sei für ihn. Der Vater habe es extra für ihn da gelassen.

In den Tagen nach Weihnachten hantierte Philipp unlustig am neuen CD-Player herum, denn eigentlich war ihm die Lust auf Musik vergangen.
Auch die Mutter, wenn sie meinte, sie sei allein, saß traurig da und lächelte nur, wenn Philipp in ihre Nähe kam. Aber obwohl sie so tat, als wäre alles in Ordnung und normal, wusste Philipp, dass sein und ihr Leben sich sehr ändern würde.
Drei Tage vor Silvester, draußen war es inzwischen bitter kalt geworden, begann die Mutter zu telefonieren, mit allen möglichen Leuten, wie es schien. Dabei hielt sie ein Prospekt in der Hand, das sie vorher offenbar einige Zeit hatte suchen müssen. Sie verschickte sogar ein Fax und ging in den Stunden danach immer wieder zum Faxgerät, um zu schauen, ob schon eine Antwort da wäre.
Schließlich war die Antwort da. Die Mutter holte ihn zu sich an den Tisch. Da lag schon das Antwort-Fax und auch das Prospekt, in dem sie jetzt so blätterte, dass auch Philipp hinein schauen konnte. Ein Schiff war drauf, auf einem großen Fluss, bunt erleuchtet, weil es Nacht war auf dem Bild. Und im Hintergrund sah man ein Feuerwerk.
Am Silvesternachmittag packte die Mutter Philipps gute Sachen aus dem Schrank, sogar die Fliege, die er nur bei ganz besonderen Gelegenheiten trug. Und auch sie selbst zog sich besonders festlich an.

„Wenn man ein neues Jahr beginnt,“ meinte sie, „ist das etwas ganz Besonderes. Man stellt sich vor, wie es wohl sein wird. Und je festlicher man es anfängt, umso besser kann es werden.“
Philipp, der sich bisher nur an Silvesterfeiern zu Hause erinnern konnte, mit Hausschuhen vor dem Fernseher, fand das aufregend. Mutti nannte das, wo sie hin gingen PARTY, und bei einer Party war Philipp noch nie gewesen.
Das Taxi kam spät. Philipp und die Mutter standen schon vor der Tür und kämpften gegen die Eiseskälte an, indem sie über den harschen Weg stapften, immer hin und her. Beinahe wäre die Mutter wieder ins Haus gegangen, um auf den Anrufbeantworter zu schauen, ob eine Absage gekommen ist. Denn schon den ganzen Tag lang hörte man im Radio Warnungen vor Glatteis. Aber gerade in dem Moment, als sie sich zum Haus umdrehen wollte, bog ein Auto mit dem gelb leuchtenden Schild auf dem Dach um die Ecke.

„Ich dachte schon, Sie kommen nicht.“, meinte die Mutter, während sie und Philipp einstiegen.
Aber der Fahrer winkte nur ungeduldig ab.
„Ach was, die Straßen sind ja frei. Nur die Leute spielen verrückt. Als ob ihnen erst jetzt eingefallen wäre, dass Silvester ist. Nicht jeder ist so vernünftig wie Sie, sich ein paar Tage früher anzumelden.“
Als sie nach fast einstündiger Fahrt am Fluss ankamen, lag da das Schiff. Hell erleuchtet und überall mit bunten Wimpeln und Lämpchen behangen, fand Philipp es viel schöner als im Prospekt. Schon am Eingang empfing sie eine uniformierte Frau mit: „Ach, da ist ja auch Familie ….“. Und Philipp fragte sich, woher man sie kenne. Aber schnell stellte sich heraus, das Philipp das einzige Kind an Bord sein würde, was eigentlich langweilig war. Noch langweiliger schienen die Leute, zu denen sie an den Tisch gesetzt wurden. Ein Ehepaar, jünger noch als seine Eltern, die sauertöpfisch in die Gegend guckten und nichts für Kinder übrig zu haben schienen.
Kurz nachdem sich Philipp und die Mutter zu ihnen gesetzt hatten, fragte die Frau den Mann, ob er den Autoschlüssel habe. Der aber schüttelte den Kopf.
„Den hast doch du.“

Aber auch sie schüttelte den Kopf.
„Nein, du.“
Und während sie so überlegten, wer beim Aussteigen was gemacht hatte, kamen sie darauf, dass sie beide ordentlich die Knöpfchen an ihrer Tür herunter gedrückt und die Autotür zugeknallt hatten. Der Schlüssel, so war bald klar, musste noch im Schloss des Motors hängen, wo man nun ohne Türschlüssel nicht heran käme. Die Frau packte nach einigem Nachdenken über Schlüsseldienste und Taxifahrten in der Silvesternacht ihren Mann beim Ärmel und saß den Rest des Abends mit ihm in einer Ecke, wo sie sich zu streiten schienen.
Das Schiff hatte inzwischen abgelegt, die Musikgruppe zu spielen angefangen und die Mutter etwas zu trinken bestellt. Aber es war langweilig. Die Mutter holte Stifte und Papier aus ihrer Tasche, wie so oft, wenn man auf irgend etwas wartete. Aber sie mussten nicht viele Strichmännchen malen, denn bald spielte die Band nicht mehr diese Silvesterschlager, sondern etwas ganz anders, sehr Rhythmisches.
Die Mutter sagte: „Hörst du das? Das ist südamerikanisch. Jeder dort hat Rhythmus im Blut. Die Menschen hören überall diese Musik. Sie stehen an den Straßenecken und wackeln so vor sich hin. Weil sie nicht still halten könne, wenn sie das hören. Komm, wir tanzen.“

Philipp war entsetzt.
„Aber ich kann doch gar nicht tanzen. Guck, da vorn ist noch gar keiner. Die Leute an den Tischen werden uns alle zuschauen. Das ist peinlich!“
Aber die Mutter ließ sich nicht beirren.
„Peinlich ist, wenn man zu Silvester so langweilig rumhockt. Du bist ein Kind, du musst nicht tanzen können. Aber du wirst sehen, es geht von ganz allein.“
Ehe sich Philipp versah, hatte ihn die Mutter auf die Tanzfläche bugsiert. Und Philipp fand, noch peinlicher, als allein zu tanzen, war auf der Tanzfläche zu stehen, von jedem gesehen zu werden und nicht zu tanzen. Außerdem sah, was die Mutter machte, wirklich nicht so furchtbar schwer aus.
Hernach saßen sie schwitzend an ihrem Tisch und tranken erst einmal etwas. Die drei Frauen vom Nachbartisch nickten beifällig und sprachen in einer fremden Sprache, Mutti meinte, das sei französisch, was man nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien spräche.
Denn daher, hatten sie mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Deutsch erklärt, kamen sie.

Kurze Zeit später stand eine von ihnen an ihrem Tisch und hielt Philipp mit einem auffordernden Nicken die Hand hin. Der sah seine Mutter fragend an, welche erklärte, dass ein Mann (und ein solcher wäre er ja bald) einer Frau nie einen Tanz abschlagen dürfe. Das wäre sehr, sehr unhöflich. Und immerhin könnte man zu dritt ja nicht tanzen. Sie, die Mutter, würde sich derweil ein wenige ausruhen.
So ging das den ganzen Abend. Philipp tanzte entweder mit der Mutter oder einer von den drei Frauen. Manchmal schaute er in die Ecke zu dem noch immer streitenden Ehepaar, das sich auch später beim Essen nicht zu ihnen zurück setzte. Die Mutter meinte, dass es dumm sei, sich den schönen Abend selbst so sehr zu verderben. Nicht einmal hatten die beiden getanzt, obwohl Tanzen doch solchen Spaß machte.
Und dann das Essen! Es nannte sich kalt-warmes Büffet und bot Köstlichkeiten, die er noch nie gesehen hatte, neben solchen, die er zu Hause nur an Festtagen bekam. Wäre nicht irgendwann sein Bauch voll und das Büffet leer gewesen, hätte Philipp immer so weiter essen können.
Stattdessen meinte die Mutter, man müsse sich nun, zur Verdauung, erst recht bewegen. Und Tanzen sei eine ganz gute Form der Bewegung.
So ging das bis die Musik aufhörte und der Mann am Mikrophon meinte, das Jahr wäre gleich zu Ende. Das Ehepaar in der Ecke stritt noch immer, fast hätten sie den Mann am Mikrophon übertönt, der inzwischen die Leute aufforderte, zu ihrem Sektglas zu greifen, damit man das neue Jahr begrüßen könne.

Auch Philipp hielt ein Glas mit einem Schlückchen Sekt in der Hand. Und nach dem „Prost Neujahr!“ von allen Seiten trank er das prickelnde Getränk und wurde von vier Frauen, nämlich der Mutter und den drei Tischnachbarinnen, heftig abgeküsst.
Danach gingen sie an Deck und sahen sich das Feuerwerk an, das hier, auf dem Fluss, noch viel, viel schöner aussah, weil sich die Raketen in der Luft im Fluss spiegelten.
Irgendwann zwischendurch hatte ihm die Mutter mit einem Blick nach draußen erklärt, hier sei Bingen und ab nun führe man wieder zurück. Aber jetzt waren sie schon wieder da. Die Frauen vom Nachbartisch verabschiedeten sich herzlich, das Ehepaar stritt auch beim Aussteigen noch und draußen stand schon ihr Taxifahrer und stöhnte, dass die Leute ja doch verrückt, mindestens aber ein bisschen dumm seien.
Während der Fahrt nach Hause drückte der Fahrer der Mutter den Notizblock in die Hand, auf dem sie notieren sollte, welche Taxirufe eingingen. Die Mutter schrieb und schrieb. Und Philipp, an sie gelehnt, schlief schon ein bisschen.
Philipp schlief auch halb, als ihn die Mutter, zu Hause angekommen, auszog und ins Bett packte. Beim Gute-Nacht-Kuss meinte er: „Gell, so dolle wie wir gefeiert haben, muss das ein ganz prima Jahr 1996 werden.“

Drei Monate später sind Philipp und seine Mutter aus der Wohnung aus- und in eine andere Stadt gezogen. Die Eltern stritten sich noch immer, jetzt am Telefon. Den Vater sah Philipp noch drei oder vier Mal.

 

 

Perfektion

Da ist dieser Maler, dem der Ruf voraus eilt, er sei der bekannteste unbekannte Maler aller Zeiten. Weil er keines seiner Bilder je verkauft hat. Und wenn er im Trunke wirklich mal eines verkaufte, holte er es sich am nächsten Tag zurück. Einmal habe er einer berühmten Dame versprochen, ihr ein Bild zu verkaufen, und als sie in sein Atelier kam, zündete er es vor ihren Augen an und löschte es mit … naja, eben ohne Feuerlöscher.

Ferner geht die Legende, er habe da ein Bild, bei dessen Anblick Jackson Pollock gemeint habe, er würde wohl nie wieder malen können. So schön und vollkommen sei das.

(J.P. hätte das wohl besser getan, denn Bilder wie er malte auch mein Bruder in seinem letzten Jahr. Und der war, auch wenn ich ihn lieb hatte, künstlerisch so etwas von unbegabt, dass die Welt ihn nicht deswegen in Erinnerung behalten wird.)

Dieser Künstler also ist höchst angetan von Mrs. M., die er betrunken und nüchtern gleich nett findet. Wobei nett ein viel zu flaches Wort für das ist, was er in ihr sieht. Ihm gefällt, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern lässt und einen eigenen Kopf hat, was für amerikanische Frauen der fünfziger Jahre nicht selbstverständlich ist. Er lässt sich von ihr die Geschichte des Bildes erzählen, das sie bei der Ausstellung am Vortag in einem Hinterzimmer für 25 Dollar gekauft hatte. („Es gab eine Mütze dazu!“)

(„Die Frau auf dem Bild kam mir bekannt vor. Ich dachte, da ist noch mehr. Vielleicht kennt sie einen Witz, den ich noch nicht kenne. Und wenn ich das Bild mit nach Hause nehme, erzählt sie ihn mir vielleicht.“ )

Und dann geht er mit ihr in einen Raum, in dem nichts steht außer einer Staffelei mit einem Bild. Und sie weiß, dass DAS das Bild ist, dass Jackson Pollock beinahe zum kreativen Schweigen gebracht hätte. Und auch sie findet es großartig, kann ihren Blick nicht von ihm wenden, während sie den Maler fragt, warum er DAS nicht der Welt zugänglich machen wolle.

Er erklärt, dass dieses Bild – das habe er immer gewusst – das Beste ist, was er je erschaffen würde. Etwas Besseres könne keinesfalls nachkommen. Schon allein deswegen nicht, weil alle große Kreativität ihren Preis habe. Man würde, um so malen zu können, auf sehr viel anderes verzichten.


Die tückischen Serienmacher („The Marvelous Mrs. Maisel“) zeigen dem Zuseher das Bild natürlich nicht. Die Kamera bleibt konsequent hinter der Leinwand. Was gut und richtig so ist, denn für jeden , also für jeden, der über so etwas schon einmal nachgedacht hat,  mag das perfekte Bild anders aussehen.

Und ich währenddessen frage mich, ob ich jemals das perfekte Bild malen werde. Auf Bekanntheit kommt es mir nicht an, auch nicht aufs Geld. Obwohl ein bissel mehr davon natürlich immer nett wäre. Aber in der Hauptsache sage ich mir, dass diese Anstrengungen in all den Jahren doch nicht umsonst gewesen sein dürfen. Und sowieso wird es Zeit für die Krönung des Lebenswerkes. Auch, wenn es mit der Bekanntheit (eine Vorstellung, die mir ohnehin widerstrebt) bereits eine Winzigkeit zu spät sein dürfte. Denn Künstler können alt werden, aber sie werden nicht mehr bekannt, wenn sie schon alt sind. Damit müssen sie sehr viel früher anfangen. Dass jemand Bilder von Lindenberg oder Müller-Stahl sehen und kaufen will, hängt ja noch am Wenigsten mit ihren nicht unbeachtlichen Fähigkeiten zusammen (die haben viele andere auch), sondern damit, dass sie vorher, wenn auch in einem anderen Bereich, bereits bekannt waren.

Dass ich, obwohl sie mich nicht interessiert, trotzdem von Bekanntheit schreibe, liegt im Kunstbegriff begründet. Was Kunst ist, weiß nämlich kein Mensch . (Also, bitte, wer hätte je gedacht, dass es ausreicht, Fett in eine Ecke zu schmeißen?) Also bemisst sich der Wert von Kunst daran, WER sie gemacht hat. Es ist kein Zufall, dass Künstler* oft als exaltiert wahrgenommen werden. Sie müssen sich schon selbst wichtig finden, um von anderen ebenso wahrgenommen zu werden.

(Ich erinnere mich, wie ich auf einer Festivität den gut betuchten Gästen von der wohlmeinenden Gastgeberin als „DIE Malerin“ vorgestellt wurde und dabei den Drang verspürte, mich umzudrehen, ob sie vielleicht jemanden hinter mir meinte. Als dann eine der hoch interessierten Damen mich in ein Kunstgespräch verwickeln wollte, hätte ich gerne diese Fähigkeit des erstaunten Brauenhochziehens beherrscht. Ich meine, ich kannte nicht einmal den Namen dieser Frau und sie meinte dennoch, wir hätten etwas gemeinsam, nur, weil sie vielleicht ein paar Bilder an der Wand hat und ich welche male. Ich ließ ein paar ihrer Vernissage-üblichen Sätze an meinem Ohr vorbeirauschen und musste dann dringend … etwas zu trinken holen. Was vielleicht nicht sehr höflich, schon gar nicht geschäftsfördernd war, aber meiner Gefühlslage zutiefst entsprach. DAS, meine ich, ist der einzige Luxus, den man sich leisten können sollte: Weg gehen, wenn einem danach ist. )

So betrachtet, werde ich wohl nie als Künstler gelten. Aber wen scherts? Ich male trotzdem weiter. Und vielleicht, irgendwann, gelingt auch mir noch dieses eine perfekte Bild.

 

  • Diese Deutung des Künstlerbegriffes gilt natürlich nur für die Vertreter der gestaltenden Kunst. Schriftsteller dürfen, müssen aber nicht exaltiert sein. (Die meisten sind es nicht.), weil man ihrer stillen Tätigkeit eine gewisse Introvertiertheit zuordnet.

 

Lust auf Großes

Jetzt naht sie wieder, die schöne Zeit. Kurze Tage und lange Nächte machen mir keine Angst. Besonders gegen Ende des Jahres nicht. O.K., wenn es richtig Jahresende ist, werden die Nächte schon wieder kürzer. Ich weiß das wohl, aber es fühlt sich noch nicht so an.

Und darauf kommt es ja auch nicht an. Sondern diese Tage, von denen einige, manchmal mehr, manchmal weniger, aber eben doch jedes Mal: einige, frei sind, haben für mich eine besondere Bestimmung. Es sind die Bildersichtungs-, -aufbereitungs-, – neuerstehenstage und -nächte.  Denn (wir durften das letzthin bereits besichtigen) an derlei Tagen spielt es keine Rolle, ob Tag oder Nacht ist. So oder so braucht frau richtig gutes Kunstlicht zum Malen. Und gemalt wird, dass die Schwarte kracht.

Es ist so eine Art Inventur, die ja üblicherweise auch meist zum Jahresende stattfindet. Da wird geschaut, was im Laufe des Jahres passiert ist und ob es dem eigenen Gradmesser noch standhält. Tatsächlich ist diese Zeit des Jahres oft die produktivste. Ein Jahr mehr Erfahrung hat sich angesammelt (Wir befinden uns im Jahr zwölf.). Was sogar jetzt noch der Fall ist, wo ich weitaus weniger male als in manchem Monat der frühen Jahre. Da malte ich täglich(!) ein Bild. Das nicht unbedingt gut war. Wie auch, ich war (bin!) ja noch am Lernen. Und dass da nicht inzwischen Tausende meine Wohnung zumüllen, hat mit eben diesen Übermaltagen zu tun (Es gibt Bilder, die in Wahrheit drei oder vier oder fünf sind. Und es gab Anfragen zu Bildern, die längst andere waren.) und mit dem Segen des Grafiktabletts, das über drei Jahre oder so fester Bestandteil meines Lebens war. Aber irgendwann kehrte ich zu den Leinwänden zurück. Und auch der Umstand, dass mein einstiges Atelier mit dem Riesentisch und den stets präsenten Farben nebst Staffelei nun einem gesitteten, ja, richtig ordentlichen Arbeitszimmer mit Teppich (der zum Glück quietschbunt ist und ein paar Farbspritzer aushält) gewichen ist, ändert nichts an diesem Jahresendritual..

Nur DPD hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn die Farben (wahnsinnsprächtige Farben) wurden entgegen allen Versprechungen heute noch nicht geliefert. Obwohl ich bereit bin, sowas von bereit.

Da stehen ein paar großformatige Leinwände, die der Neuverwendung harren. Und ich bin so bereit für sie, die ich jahrelang hütete, für ziemlich gut befand und jetzt eben nicht mehr.

Bei denen hier hadere ich (noch).

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(Ich liebe diesen Hund!)

Bei denen hier bin ich mir sicher:

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Und die Gruselzeit ist auch vorbei.

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Ich komme mir vor wie Jodie Foster, die in „Contact“ in mitleiderweckender Häufigkeit ruft: „Ich bin auf GO!“

Hört mich denn keiner?

 

 

Maulende Myrte

Während der krankenbesuchende Halbgare tagelang über die Jahreszeit Klage führte, im Fernsehen Sender entdeckte, die ich nicht auch nur mit der Rückseite anschauen würde, und mir schlussletztlich auch noch einen Bonustag bescherte („Du kochst so gut!“), ziehe ich – zwangsweise von den Halbtoten wieder auferstanden – in Betracht, beim nächsten Mal eine riesige Kleinigkeit schlechter zu kochen.

Natürlich liebe ich meine Brut, wünsche mir aber gelegentlich, dass selbige etwas fürsorglicher wäre und mich krank sein lässt, wenn ich es denn bin. Und mich selbst wünsche ich etwas taffer. Irgendwie so:

Und nicht nur mir wünsche ich das, sondern auch manch jungem (!) Menschen in meiner Umgebung. Zum Beispiel der Bekannten, die mir heute von ihrer wutanfälligen, türenschmeißenden Tochter erzählte. Ich riet ihr, die Tür ihrer Tochter auszuhängen, damit es nichts mehr zum Schmeißen gibt und das Blag den Wert einer eigenen Tür erkennen lernt.

Nichts ist selbstverständlich, denke ich mir. Weder eine eigene Tür, noch eine krank kochende Mutter, noch irgendwer, der saufende Kinder nächtens heim holt und deswegen auf seinen Schlaf verzichtet. Auch nicht superteure Klamotten, die sich leisten zu können die Eltern Jahrzehnte brauchten, während die Kinder immer alles gleich und sofort haben wollen, als gäbe es kein Morgen und nicht die Option einer Steigerung.

Meine Mutter, die – immerhin gab es welches – mich mit dem Taschengeld kurz hielt, pflegte zu sagen, dass Geld auszugeben schnell gelernt, aber selbiges sparen zu können eine Kunst sei. Und so ähnlich, denke ich, ist es auch mit Gefälligkeiten und Wohlsein.
Wer es immer nur gut hatte, erwartet ganz selbstverständlich, dass das immer so bleibt, und bricht schier zusammen, wenn ihm einmal etwas nicht so Gutes widerfährt. Wer aber die unvermeidlichen Tücken des Lebens kennt, entwickelt Dankbarkeit, wenn Dinge gut gelingen.

Kann schon sein, dass ich mich jetzt dem Alter nähere, in dem die Leute beteuern, früher sei alles viel besser gewesen. Aber trotz dieser selbstkritischen Idee geistert da hinten in meinem Kopf der Gedanke: Vielleicht stimmt das ja?

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Wie ein Schrei im Wind

Die Filmindustrie ist eine kurzlebige … geworden.

Wo wir früher noch ein, zwei Jahre warten mussten, ehe Kinofilme auf Video erschienen, wo wir nach dem Erscheinen noch 40 DM bezahlen mussten, um einen solch lang erwarteten Film erwerben zu können, geht heute alles viel schneller.

Die Streaming-Dienste machen sich vom Kino unabhängig, leisten sich jetzt auch Serien, die nie im Fernsehen erscheinen. Wozu auch? Für den Dienst zahlt man ja sowieso. Und die Leute lieben Serien.

Ich ja auch.

Aber ich habe das Kino nicht vergessen, bin vielmehr erstaunt, wie lange manche Filme, die ich vor Jahrzehnten sah, im Gedächtnis haften geblieben sind.

Manchmal, in der Zwischenzeit, sah ich solche Filme im Fernsehen erneut. Mit ebenso glänzenden Augen wie beim ersten Mal. Und dann kam Sohni ins Zimmer, schaute kurz auf den Bildschirm und fragte, wie es der Jugend so eigen ist: „Was isn das fürn Scheiß?“ Ich konnte ihm das bis er auszog nicht abgewöhnen.

Später, als er nicht mehr hier wohnte, ergab es sich bei Besuchen, dass wir abends vor genau solchem „Scheiß“ landeten und Sohni die Sachen ganz prima fand. Vielleicht, denke ich, wird mit zunehmendem Alter das Verständnis größer, die Ansicht anders oder einfach nur der Widerborst gegen elterliches Denken geringer. Wir sind, woher wir kommen. Und auch wenn wir meinen, uns elterlichen Einflüssen widersetzen zu müssen, wuchsen wir doch mit ihnen auf. Von genetischen Markern mal ganz abgesehen.

Was alles nur wenig mit meinem heutigen Erleben zu tun hatte.

Da tauchte ein Filmtitel in meinem Kopf auf. Was schon selten genug ist angesichts mancher Wortfindungsstörung der letzten Zeit. Er war einfach so da und immerhin 53 Jahre alt. Und hatte nicht das Allermindeste zu tun mit allem, was mich heute so interessiert und bewegt. Nicht minder erstaunlich war, dass auch der Echt-Name der Hauptdarstellerin sofort gegenwärtig war. Manchmal merke ich mir nicht einmal Dinge und Namen, die mir vor zwei Tagen über den Weg liefen.

Mich auf die Suche nach der Sache machend, stellte ich fest, dass dieser vergleichsweise unbekannte Film irgendwie doch seine Wichtigkeit hat. Es gibt ihn, aber nicht umsonst bei Youtube, sondern kaufpflichtig bei Amazon Prime für sieben Euro; das sind, wir erinnern uns, immerhin noch 14 Deutsche Mark. Ungefähr.

Die ich mir gegönnt habe und auch Sohni, der Zugriff auf mein Amazon hat, weiter empfehlen werde.

Es geht darin um eine Wild-West anmutende Realität, die aber nichts mit John-Boy und Co. zu tun hat. Vielmehr darum, wie Menschen damals lebten, welche Wertvorstellungen sie hatten, was für sie Luxus war und wovon sie träumten.

Unsere Kinder können insofern etwas daraus lernen, als sie schon maulen, wenn irgend etwas in ihrer so furchtbar heilen Welt nicht vollkommen funktioniert. Sie können überdies lernen, dass der heutige Luxus, welcher nicht mehr als solcher, sondern als ganz normal empfunden wird, eine ganz, ganz neue Sache ist. Und sie erfahren darüber hinaus, dass Besitztümer in harten Zeiten weniger wert sind als der Zusammenhalt, auch wenn uns die Konsumgesellschaft anderes lehrt.

Rita Tushingham, die als eine der Hauptrollen während des gesamten Films nicht ein Wort spricht, hätte, finde ich, berühmter sein sollen. Aber das ist vielleicht ein anderes Thema, das damit zusammenhängt, dass Frauen im Film in den Sechzigern grundsätzlich schön zu sein hatten. Wirklich schön ist sie nicht gewesen, aber ihr Lächeln ist unübertrefflich.

wie ein schrei im wind