In letzter Zeit dachte ich oft an diesen Werbespot.
„Kalte Füße, kalte Füße. Kalte Füße gibt’s nicht mehr. Es gibt ja Bama Schaffellsocken.“
Den Spot gibt’s nicht einmal bei You Tube, wo es eigentlich fast alles gibt, was einem so in den Sinn kommt. Also kann ich den Erzeugnisnamen getrost nennen. Vermutlich gibt es auch die Socken nicht mehr.
Ich zweifle auch, dass sie helfen würden. All die anderen Kuschi-Wuschis, die ich ausprobierte, helfen ja auch nicht. Es ist kalt geworden da unter meinen Füßen, seit die Läden da unten nicht mehr vermietet sind.
Ach, was waren das doch für Zeiten, als dort noch die Verbraucherberatung (links) und die Schuldnerberatung (rechts) hausierten. Die waren hübsch warm und gleichzeitig ruhig.
Die Freikirchler fand ich auch ganz nett. Die hatten beides angemietet und waren gut zu ertragen, solange sie noch kein Schlagzeug hatten. Aber auch das ging vorbei. Gottesdienst war schließlich nur sonntags ab zehn.
Meine Fußpflegerin erzählte, sie habe eine Zeit lang die Räumlichkeiten direkt unter mir als Joga-Studio gehabt. Was durchaus machbar war, denn unter dem Laden – Zugang von da – gibt es eine Toilette (drei rechts, drei links), die man auch als Umkleide nutzen konnte. Ich wusste das gar nicht, ehe die Freikirchler ihren Tag der offenen Tür hatten. Noch heute kann ich mir die räumliche Verwurstelung im Kellergeschoss nur schwer vorstellen, denn da ist ja noch Laden Nr.3, in dem die meiste Zeit eine Friseurin war. Und ich mag mir nicht wirklich vorstellen, wie es gewesen wäre, hätte ich das Joga-Studio noch erlebt. Zwar ist Joga keine wirklich laute Aktivität, aber in den Studios spielen sie immer diese Musik, die ich nervig finde, obwohl sie beruhigend sein soll.
Einen Hang zu dieser Musik hat meine Fußpflegerin noch immer. Denn sie macht, was ich sehr liebe, auch Fußmassagen. Die etwas sehr Kontemplatives haben. Ich schlafe dabei immer so ein bisschen ein. Nicht ganz. Immerhin höre ich es, wenn ich beginne zu schnarchen und ich merkte es, als sie neulich einen Reizhusten hatte. Der ihr peinlich war. Als hätte sie die Verpflichtung, sich während dieser Massagen unsicht- und – hörbar zu machen. Eine Regel bei diesen Massagen scheint es auch zu sein, dass sie mich nie loslässt. Also: Sie „verlässt“ den eben erst massierten Fuß erst dann, wenn sie den anderen in die Hand genommen hat. Und wenn sie fertig ist, hat sie so ein Ritual, dem ich entnehmen kann, dass es – leider schon wieder – vorbei ist. Wir beide sind hernach, jeder auf seine Weise, sehr erschöpft. Ob sie aber auch so glücklich ist wie ich, wage ich zu bezweifeln.
Meine Vermieterin ging immer zu dem Friseur ganz unten, ehe sie total verwirrt wurde und dann, hochbetagt, aber bis zuletzt sehr diszipliniert mit rotgefärbten Haaren starb. Sie nutzte diese Friseurbesuche stets, um zu prüfen, ob mit ihrem Besitz alles in Ordnung war.
Und das war es, denn der im Haus wohnende Hausmeister war gewissenhaft und rege. Der wohnt zwar immer noch hier, ist aber nun nicht mehr der Hausmeister. Eine Zeit lang machte ich mir Sorgen um ihn. Ein so redlicher und rechtschaffener, fleißiger Mann, der mich eines Tages nicht mehr auf der Straße erkannte. Seine Frau war hoch verzweifelt, als seine Krankheit offenbar wurde. Sie kam damit nicht zurecht.
Inzwischen sehe ich ihn zuweilen ohne Rollator. Er erkennt mich wieder und macht oft einen frohgemuten Eindruck. Seine Frau hingegen sah ich lange nicht mehr. Sie scheint kaum noch aus dem Haus zu gehen.
Meine Vermieterin lernte ich in einer Schnellschuss-Aktion kennen. Sohni und ich hatten es zum Ritual gemacht, auf dem Marktplatz eine Zeitung zu kaufen, sie auf den dortigen Bänken aufzuschlagen und nach Wohnungen zu schauen. Nur so aus Spaß, einerseits, aber auch, weil der damalige Vermieter langsam übermütig wurde. Als wir diese Wohnung sahen, gingen wir zur Telefonzelle und der Vormieter (der im übrigen nicht einen Tag in der Wohnung gewohnt, sondern sie lediglich zu dem Zwecke angemietet hatte, seiner getrennt lebenden Frau klar zu machen, dass er und die Tochter, die bei ihm bleiben wollte, nicht die Absicht hatten, länger als nötig mit ihr unter einem Dach zu leben) kam zehn Minuten später und zeigte mir die Wohnung, in die ich mich sofort verliebte. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt in einer – oft auswärtigen – Ausbildung befand und eigentlich gar nicht wusste, wie ich einen Umzug hätte bewerkstelligen sollen. Sie, die Vermieterin, bestand auf einem Besuch bei sich zu Hause, wo es vor Marmor und Teppichen nur strotze. Und sie benahm sich wie alter Adel, was sie auch irgendwie war und auch noch bleiben würde, solange sie auf den Beinen war. Ihre geistige Verwirrtheit verwirrte nur die anderen. Sie selbst zweifelte keine Minute an sich.
Natürlich war sie nicht wirklich adlig, sondern alter Elfenbeinadel. So ist das hier eben. Als ich herzog, gab es noch drei oder vier Läden mit Elfenbeinerzeugnissen, weil hier die Schnitzer ausgebildet werden. Wer da früher seine Hände im Spiel hatte, litt keinen Mangel, auch wenn Elfenbein schon seit geraumer Zeit nicht mehr gehandelt werden darf.
Unsere zweite Begegnung fand bei einer weiteren (nun offiziellen) Besichtigung statt, bei der sie streng und mit Blick auf meinen damals 15jährigen Sohn fragte: „Sie sind doch ruhige Mieter? Dies hier ist ein ruhiges Haus!“ Ich nickte eindringlich, weil ich diese Wohnung, mitten in der Stadt und doch ruhig, mit Parkett im Wohnzimmer und Balkonen in beide Richtungen unbedingt haben wollte.
Nun habe ich sie, seit allerhand Jahren schon, bin weiterhin froh, friere aber an den Füßen.
Wer auch hätte ahnen können, dass diese exklusive Lage dermaleinst für Geschäftsleute so wenig interessant sein könnte? Wer überhaupt hätte ahnen können, dass kleine Läden niemanden mehr hinter dem Ofen vor locken würden?
Im Nachbarhaus haben sie die einstigen Läden schon zu Wohnungen umgebaut. Schaufenster raus und normale Fenster rein. Die Wohnungen sind niedlich, auch wenn es manch Mieter (der Erste zog schon weg), unerfreulich finden mag, dass die Passanten sich auf Höhe seines Fußbodens bewegen und – trifft man keine Vorkehrungen – hereinschauen könnten. Weiter unten in den Läden sind jetzt eine Shisha-Bar und ein internationaler Club. Ich staune immer wieder, wieviel Nachtfreizeit manche Leute haben, wenn ich sehe, dass da unten erst nachts um zwei geschlossen wird und die Letzten um vier davonschlendern, als hätten sie die nächsten Stunden nichts Besonderes vor. Ich selbst ringe um diese Zeit mit mir und dem Wecker, der wenige Stunden später klingelt.
Meine Kalten Füße? Sind hoffentlich bald keine mehr.
Morgen kommt der Teppichbelang. Ich habe noch nie einen Teppich verlegt. Aber das schaffe ich auch noch. Schließlich habe ich damals auch den Umzug während meiner Abschlussprüfungen geschafft.