Nein, nein, und nochmals nein.
Ich rede heute nicht und niemals wieder über Corona oder das, was es mit uns macht. Nicht über den Mangel an Sozialkontakten, nicht über Mütter und Großmütter, die an ihrem Geburtstag froh sein müssen, wenn Kinder und Enkel anreisen, um für zehn Minuten vor dem Balkon zu stehen. Nicht über Home-Office und langsam dahin schleichende Technik.
Über all das rede ich nicht.
Sondern über Opern, die ich eigentlich nicht mag.
Aber … einst sagte mir jemand, dass gewöhnungsbedürftige Musik sich mit der Häufigkeit des Hörens in unsere Ohren schleicht. Und zwar dauerhaft. Was durchaus bedeuten kann, dass wir von Jahrzehnten oder beinahe einem ganzen Leben reden.
Ich also mag Opernmusik nicht. Weil ich es albern finde, wenn sie – sei die Attacke auch noch so rabiat gewesen – dort minutenlang(!) sterben. Und dabei die Kraft haben, das singend zu begleiten. Im Ohr habe ich dabei wahlweise einen Bass, allenfalls Bariton, der im Dutzend verkündet, und zwar singend: „Ich sterbe! Ich steeerbe! Ich steeeeerbe!“
Na, Sie wissen schon.
Was natürlich albern ist.
Denn wer so lautstark sein Sterben verkünden kann, kann so halb- oder beinahe-tot ja nun nicht sein. Denn dieses Gesinge kostet allerhand Kraft.
Aber, klar, das ist nur eine Analogie. Ich kenne keine Oper, in der jemand singt, dass er stirbt. Aber es könnte durchaus sein, weil … in Opern singen sie ALLES. Wären sie so drauf wie wir das heute sind, sängen sie wohl auch: „Mir sitzt ein Puuups quer!“
Ungemocht oder nicht – der Wiedererkennungsfaktor (s.o.) tut das Seine. Und irgendwann haben wir das Gefühl, dass diese Sache, so blöd wir sie einst fanden, so schlecht dann auch wieder nicht ist.
In meiner Kindheit wohnte über uns Familie R., die aus Mutter (um die 80) und Tochter (um die 50) bestand und ein Klavier und einen Plattenspieler hatten zu einer Zeit, wo es in der Nachbarschaft weder das Eine, noch das Andere gab. Ich erinnere nicht viel Klaviergeklimper, aber dafür sehr viel Opernmusik. Von Schallplatten.
Die Wände und Decken waren nicht sonderlich dick.
Und ich erinnere, dass die Leute damals noch ziemlich häufig Operetten mochten. Dieser Kerl mit seiner Sendung „Erkennen Sie die Melodie“ wusste, worauf er setzte. Die Leute kannten die Melodien irgendwie alle. Freilich war das das leichtere Fach. Und im Gegensatz zu den Opernleuten durften die aus der Operette manchmal sogar einfach nur reden. Das taten die in der Oper ja nie, weil sie eben ALLES sangen.
Die beiden Damen da über uns waren schon sehr eigen und auch irgendwie vornehm. Sie hatten nie irgendwo anders gewohnt als in eben diesem 1929 gebauten Haus, was mir besonders auffiel, als ich mit der Tochter, die nach dem Tod der Mutter eine kleinere Wohnung suchte, tauschte. Diese war mit dem Umzug, wer konnte es ihr verdenken?, haltlos überfordert, und froh über jede Sache, die sie in der alten Wohnung zurück lassen konnte. Darunter das Klavier, das bespielen zu können ich mich als Kind nach oben fragen zu gehen getraut hatte. Mit wenig Erfolgt. Die alte Dame sah mir wohl an, wie wenig ernsthaft mein Interesse war. Ich hätte, ihrer und jeder anderen vernünftigen Meinung nach, Unterricht nehmen sollen, um mir den Zutritt zu verdienen.
Dass das Klavier dann doch bei mir und später beim Kochduell (Ich hätte heulen können, als ich es in einer Sendung aus meiner Heimatstadt sah!) landete, wäre ihr wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen.
Inzwischen trage ich diese und andere Sachen mit Fassung, auch wenn ich noch heute stolz auf dieses kleine Mädchen bin, das sich am roten fauchenden Kater der Nachbarn schräg drüber vorbei zu der durchaus distanzierten Dame von oben wagte, um, deren stets kläffendem Dackel trotzend, die Frage nach der Klaviernutzung vorzubringen.
Das Klavier, das sich ein paar Erwachsenenjahre in meinem Besitz befand, machte weder aus mir eine Virtuosin, noch meine Tochter, die ich tatsächlich zum Unterricht schickte, glücklich. Nach weniger als einem Jahr erklärte mir die Lehrerin, dass es schade ums Geld sei und vielleicht auch nicht so schön, mein Kind zu etwas zu nötigen, was ihm selbst so gar nicht läge.
Und vielleicht sind DINGE, die wir für unsere Kreativität benötigen, ja am Ende auch gar nicht so furchtbar wichtig. Ein Klavier, Kreuzspannung, übrigens mit einem Riss hinten, der bei irgendwelchen Transporten der Funktion durchaus hätte abträglich werden können, macht nur den glücklich, der sich danach sehnt. Sehnsucht war da keine, nur ein Ehemann, der gelegentlich „Für Elise“ darauf spielte, was so ziemlich das Einzige war, was er beinahe fehlerlos spielen konnte.
Erfreuen wir uns also an den Dingen, die wir bei und in uns haben. Zum Beispiel die Resultate des schwesterlichen Gesangsunterrichtes. Klassisch, natürlich, wo man lernt, die Töne nicht nach oben zu quälen, sondern, von oben aufzusetzen.
Was mir heute die „La Donna Mobile“ in den Kopf und auch die Stimmbänder schickte, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich fand, ich habe das, ohne je selbst Gesangsunterricht gehabt zu haben, gar nicht so übel gemacht.
Und wenn es meinen Nachbarn nicht gefiel … mir doch egal!