Alte Frauen

Wir alle hatten in den letzten Monaten sehr viel Zeit. Schließlich kann man nicht unentwegt spazieren gehen. 

Ich verbrachte die meine, also meine Zeit, verstärkt mit der Mediathek des öffentlich rechtlichen Fernsehens und sah mir Serien an, die ich immer schon gemocht, aber wahrscheinlich nie vollständig gesehen hatte.

Vermutlich ist es kein Zufall, dass mir dabei ältere Frauen ins Visier gerieten.

Wobei man sich ja fragen kann, wann genau so eine ältere Frau anfängt und was sie ausmacht. Die meisten, ja klar, verbinden weibliches Älterwerden mit dem Verlust der jugendlichen Ausstrahlung und erstem, wenn auch schleichendem Verlust der Attraktivität. Im ein oder anderen Fall gehören auch breiter werdende Hüften dazu.

Wo beim Mann die grauer werdenden Schläfen womöglich als interessant angesehen werden, wird Frauen ihr beginnender Verfall zuweilen übel genommen. Das entsprechende Vokabular hat jeder schon gehört.

Gleichwohl sollten wir – hier vermutlich: allesamt – älteren Frauen uns davon nicht irre machen lassen. Denn da sind Lichtblicke, die uns sagen: Scheiß auf Falten und breite Hüften: WIR SIND INTERESSANT.

Schauen Sie sich Senta Berger an („Unter Verdacht“), die auch schon lange nicht mehr das zarte Röschen ist, das man einst nach Hollywood holte. Mit noch immer großem Charme, setzt sie stilvoll – in der Rolle und vermutlich auch im Leben – durch, was sie erreichen möchte.

Hannelore Hoger („Bella Block“) ist da von anderem Kaliber, aber nicht weniger beeindruckend. Ihre Lebensfreude sprüht nur so und wird nur von ihrem Charakter übertroffen. Bis vor wenigen Jahren noch (dieses Jahr wird sie 80) spielte sie die Rolle der angejährten Kommissarin, die vorzeitig(!) in Rente ging, aber auch danach nicht locker ließ.

Beiden ist gemeinsam, dass sie aus einer Zeit stammen, in der Frauen nur wenig zugetraut wurde und man sie gern auf ihre Weiblichkeit (das schließt Schwäche selbstverständlich ein) reduzierte. Kompetenz und Durchsetzungskraft kamen da noch nicht vor. Nicht für Frauen. Führungsrollen für Frauen dürften damals selten gewesen sein und Karrieren in Männerberufen (wie der Kriminalistik) gen Null gegangen sein.

Umso mehr merkt man beiden die Spielfreude in ihren Rollen an. 

In einem Gemisch aus (anerzogener) weiblicher Zurückhaltung, Empathie und, ja, auch Durchsetzungskraft lösen sie Fälle bis zum letzten Zipfel, die ihre männlichen Kollegen oft schon viel früher (und mit dabei fehlerhaften Ergebnissen) ad acta gelegt haben würden. Das bringt ihnen zuweilen Ärger ein und den Vorwurf, zu gefühlig an die Sache heranzugehen. 

Dass auch sie in der ganzen Bandbreite, mit der man Frauen im Beruf gern niedermacht, angegriffen werden, versteht sich beinahe von selbst. Da wird ihnen ihr Alter zur Last gelegt, da werden ihnen Brüche in ihrer Vita (gestorbenes Kind;  Messerangriff) als psychologisches Hemmnis für Objektivität vorgeworfen, da wird – wenn auch nur unterschwellig – die Karte der hysterischen Frau ausgespielt. 

Natürlich will man diese unbequemen „alten Weiber“ nur allzu gern loswerden. (Und dass sich Polizeipsychologen nur allzu gern vor diesen Karren spannen lassen, halte ich nicht ausschließlich für künstlerische Freiheit.) Aber sie halten so lange durch wie sie eben selber wollen.

Und in der Hauptsache geben sie, auch für heutige mitten im Leben stehende Frauen, ein Lehrbeispiel ab, wie frau sich in Männerberufen mit ihrer ganz eigenen Note durchsetzen kann.

Immer wieder empfehlenswert!

Weschen demme

Ich gebe es zu: Wir gehörten noch zu jener Generation, die in der Schule „getrimmt“ wurde. Am Beginn einer jeden Mathestunde fünf Minuten Kopfrechnen, in Grammatik Fälle und Präpositionen stur auswenig lernen. Bis alles passte. Über Jahre hin.

Ich kann also ganz und gar nichts dazu, wenn heute, angesichts irgendwelcher Dinge, die ich sehe und höre, sich mir das Gefieder sträubt, weil … das GEHT doch so nicht.

Und das nicht erst seit Bastians Sicks „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“.

MEIN Genitiv lebt. Aber überlebt er die Neuzeit? Ich habe Zweifel. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass inzwischen auch der Duden und manch andere Rechtsschreibfibel den Ersatz des Genitivs durch den Dativ zwar nicht gutheißt, aber hinnimmt. Soll heißen: Man kann das sagen oder schreiben, ohne dahin gemetzelt zu werden. Es ist sogar halbwegs geläufig. Und … was soll man denn auch tun, wenn keiner mehr so richtig weiß, was der Genitiv ist?

Mein Schmerz angesichts der neuerdings vielfach in Ladentüren zu beobachtenden Mitteilungen: „Wenn Sie im Laden einkaufen wollen, kontaktieren Sie uns wegen eineM Termin“, verpufft also vollkommen. Auch wenn ich noch so laut schreien möchte: wegen eineS Termins“!, (ihr Idioten!). Die Sprachentwicklung gibt den Unkundigen Recht.

Und sowieso, seien wir doch ehrlich, ist es vollkommen Wurscht, ob und wie sprachkundig wir sind. Weil … Schreibenlernen nach Gehör, Facharbeiten sind Facharbeiten usw.usf. 

Wir, dunnemals, bekamen noch Punktabzüge in Facharbeiten, wenn Orthografie und Grammatik nicht stimmten. Heute reicht es dem Lehrer, wenn er so halbwegs erahnen kann, was so ein Jungmensch in seiner Bioarbeit schreibt. Rechtsschreibung spielt da keine Rolle. Und Interpunktion ist quasi Luxus. Menschen in den sozialen Medien, die sich alleweil darüber beklagen, dass eine/r dort grundsätzlich in Kleinschrift kommentiert, wissen nicht (mehr), dass Verben und Adjektive grundsätzlich klein geschrieben werden, es sei denn, es handele sich um substantivierte Verben. Und weil sie einmal etwas Verbartiges in Großschrift sahen, schreiben sie nun alle Verben groß und finden sich unheimlich gescheit.

Was ja auch der Sinn der Sache war (wenn es denn funktioniert): Sollten ein paar Wenige von uns tatsächlich superklug sein und Akademiker werden, dann sollten sie Vorbilder sein. In jeder Hinsicht. Ein Akademiker, der die Sprache nicht wirklich beherrscht, führt sich selbst ad absurdum. Soll heißen: Einer, der seine eigene Sprache nicht von Grund auf beherrscht, ist keiner höheren Denkart fähig. 

Inzwischen jedoch sprechen wir in falschen Fällen, mit Grinsegesichtern oder englischen Sprachabkürzungen. Und all das ist vielleicht nicht gescheit, aber doch legitim. 

Warum also rege ich mich über falsche grammatikalische Fälle auf?

Und sowieso liebe ich meine hessischen Mitmenschen, deren „weschen demme …“ schon viel älter ist als die neue Sprachverwirrung.

Die Zigarre

Seit außerhalb der Erde diverse Teleskope installiert sind, die viel, viel weiter schauen können als wir das von der Erde aus konnten, ist die Welt der Astronomen in schierer Aufregung. Ständig entdecken sie Neues, müssen bisherige Theorien in Frage stellen und erweitern so im tatsächlichen und übertragenen Sinne ihr Gesichtsfeld.

Vor zwei Jahren war die Aufregung extrem. Da flog durch unser Sonnensystem ein Körper, der nach Aussehen und Flugbahn (von der Geschwindigkeit ganz zu schweigen) den Gedanken nahe legte, dass er nicht „von hier“, sprich: aus unserem Sonnensystem kommen könne. 

Man behielt ihn im Augen und hoffte einige Zeit lang, es könne sich um Außerirdische handeln. Zu schnell war das Dingens, als dass es von irgendwem anders lediglich „angestupst“ worden sein könne. Man lauschte auf allen Frequenzen, um Kontakt mit den Außerirdischen herzustellen. Aber „die Zigarre“ blieb still, rauschte einfach durch, schoß auf die Sonne zu, umflog sie in aller Nähe, um noch einmal Schwung zu holen und verschwand in beinahe die gleiche Richtung, aus der sie gekommen war.

Schon allein dieses Manöver, das Raumfahrer gerne nutzen, um an der Gravitation eines Himmelskörpers noch einmal zu beschleunigen, legte intellgentes Leben innnen drinnen nahe. Aber was will man machen? Da die Herrschaften nicht mit uns sprechen wollten, wird es wohl doch nur ein merkwürdig geformter Fels natürlichen Ursprungs gewesen sein. (Wir erinnern uns: Eigentlich sind ja alle Himmelskörper, so nicht durch eine Kollision geformt, irgendwie rundlich, wie Kiesel am Strand.)

Nun, diese Schlussfolgerung („Die sprechen nicht mit uns; also ist es doch nur ein Felsen.“) könnte durchaus abwegig sein wie so vieles, was sich in der Wisenschaft (und nicht nur in der Astronomie)  später als schlichtweg falsch erwies.

Bei Licht betrachtet, sprechen wir selbst ja auch nicht jeden an, an dem wir so vorbei kommen. 

Ich stelle mir vor, da kommt so eine fremde Intelligenz daher, um mal zu schauen, was in anderen Teilen des Universums so los ist und stellt fest, dass wir noch nicht so weit sind. Ich meine, wir selbst, als wir anfingen, Weltreisende zu werden, hätten gut daran getan, andere Kulturen hübsch in Ruhe zu lassen, statt ihnen aufzudrängen, was WIR für gut und richtig befanden. Manch späterer Ärger, den wir ums Verrecken nicht auf eben diesen Fehler zurück führen wollen, wäre uns dann erspart geblieben.

Nun ist es aber – auch – ein Zeichen von Intelligenz, sich vorher Gedanken zu machen, wie man sich verhält, wenn man denn auf andere trifft. „Wird schon irgendwie werden.“, ist da vielleicht keine wirklich probate Methode. Man sollte schon einen Plan haben. Und manchmal ist der Plan, sich komplett raus zu halten, nicht der Schlechteste.

Ich stelle mir also vor, dass wir in den Augen der Außerirdischen so etwas wie Vorzeitmenschen waren. Was zu erfassen vielleicht kein so furchtbar großes Instrumentarium braucht.

Man schaut sich die Luftqualität an, die mancherorten ganz sicher nicht von Natur aus so schlecht ist. Man sieht Ghettos, in denen sich Menschen in Hütten und ohne die elementarsten Grundlagen (Toiletten, fließendes Wasser) eng auf eng versammeln, und gleichzeitig Villenviertel, in denen einzelne Menschen in …zig Zimmern wohnen. Man sieht, wie Jahrhunderte alte Bäume, die das Klima schützen sollten, niedergemacht werden, um monogame Landwirtschaft zu betreiben, um das Holz selbst zu gewinnen, um an Bodenschätze heran zu kommen, um Tiere zum Verzehr(!) (wie barbarisch!) zu züchten. Man sieht, wie Schätze der Natur gnadenlos ausgebeutet werden, ohne die Versteppung des Landes und die Verschmutzung des Wassers, beides unwiederbringliche Dinge, in Betracht zu ziehen.

Man sieht letztlich so vieles, beinahe auf einen Blick, um sich darüber klar zu sein, dass man MIT DENEN da unten, wenn sie denn ihr eigenes Tun überleben werden, noch lange, lange Zeit nichts zu tun haben will.

Die Astronomen, wenn es denn jemals dazu kommen wird, werden dermaleinst beim ersten Kontakt erfahren, denke ich mir, dass die in der Zigarre vor langer, langer Zeit schon einmal da waren. Und keinen Sinn darin sahen, mit Kreaturen (Menschen nannten die sich) Kontakt zu haben, die nicht die einfachsten Dinge verstanden hatten.

Nachtwache

Draußen gesessen auf dem Balkon und gedacht, dass es eigentlich wärmer sein könnte, sollte. Schön wärs jedenfalls. Aber dieses nicht-warm brachte eine Erinnerung.

Ich, irgendwann mit 12, 13 im Ferienlager, wo wir in Zelten wohnten. Ein riesiges Lager in Brandenburg. Und einer der Höhepunkte die Nachtwanderung. Die nicht nur Wanderung war, sondern ein Zeltlager neben dem Zeltlager. Die Zelte waren kleiner, die Gruppen waren kleiner und alles war nicht nur neben, sondern direkt IM Wald.  Wo es dunkel war und allerhand für den Stadtmenschen erschreckende Geräusche daher kamen, ohne eine Erklärung zu finden. 

Mein Mitwächter und ich saßen gleichermaßen gespannt und auch ein wenig ängstlich nebeneinander, lauschten den Geräuschen des Waldes in der Nacht und kämpften gegen unsere Müdigkeit, wohl wissend, dass – schliefen wir ein – unsere Kameraden in Gefahr sein könnten.

 Um es spannender zu machen, wurden wir in zweistündige Schichten eingeteilt, die Wache halten sollten, wofür oder wogegen auch immer. Ich und mein Mitmensch wurden kurz vor zwei in der Nacht geweckt und setzten uns raus in die klamm-kalte Nacht. Wir nahmen die Wache sehr ernst, als könnte etwas passieren. Wir probten den Ernstfall, als könnte irgendwer unserer Kameraden irgend etwas antun wollten. 

Hernach denke ich, dass die zwei Stunden zwischen 2 und 4 in der Nacht die schlimmsten und gleichzeitig großartigsten sind. Man zittert, obschon in Decken eingewickelt, vor lauter Kälte und sieht gleichzeitig den Tag aufkommen. Man hat, so als Stadtkind, einen ganz einzigartigen Zugang zu etwas, das man nie zuvor und vielleicht nie wieder sehen wird: Die Natur in ihrer vollkommenen Großartigkeitkeit und Ursprünglichkeit. Denn kein normaler Städter interessiert sich für die Natur in der Nacht. Viele normale Städter interessieren sich nicht einmal für die Natur überhaupt.

Wir aber, damals, wurden mitten hinein geworfen in diese Gerüche, Geräusche der Nacht und das aufkommendende Tageslicht. 

Am Ende dieser zwei Stunden mit abnehmender Dunkelheit und Furcht einflößendem Geknister um uns herum waren wir durchgefroren und todmüde. Aber wir hatten unseren Job gemacht, die anderen beschützt, wovor auch immer.

Wir hatten die Prüfung bestanden und waren füreinander da gewesen.

(Jetzt verstehe ich, warum sich Pfadfinder zuweilen so gut fühlen.)

Playlist

Erinnerst du dich?

Früher war irgendwie mehr Kultur.

Klar, wir hatten nur drei Fernsehsender und deswegen bis Anfang der Achtziger nicht einmal ein Fernsehgerät. Es lohnte sich einfach nicht. Auch nicht, als es dann fünf, sechs und mehr Sender wurden. Igendwie lief da meist nur Müll.

Wir lasen unheimlich viel, waren Stammgäste in Bibliotheken und tauschten die „Geheimtipps“, die es nicht im Laden gab, untereinander aus. Der Plattenspieler, anfangs ein scheußlich weißes Plastikdingens, war im Dauerbetrieb. Wir hatten ein Theaterabonnement und gingen, wenn es denn Ausstellungen gab, in Galerien. Das war nichts Besonderes. Irgendwie machten das alle. Also alle, die wir kannten.

Wir sprachen sogar über das, was wir da gesehen und gehört hatten.

Und wir hörten klassische Musik! Ja, das war für uns vollkommen selbstverständlich.

Wir dachten nicht, dass wir dieses berühmte Bildungsbürgertum seien, das ja irgendwie … naja, lächerlich war. Wir taten all diese Dinge deswegen, weil wir es KONNTEN. Im Gegensatz zu unseren Eltern, die ganz andere Sorgen gehabt hatten. Wir hätten diese Dinge nicht einmal als Hobbys angesehen. Sie waren ganz selbstverständlicher Bestandteil unseres alltäglichen Lebens.

Dabei waren wir mitnichten diese langweiligen Trantüten, die man sich bei dieser Beschreibung vorstellt. Wir gingen tanzen und machten Nächte durch, spielten und hüpften mit den Kindern, die ganz normale Kinder waren, auch wenn sie schon in jungen Jahren wußten, was Beethovens 5. war und Mozarts Kleine Nachtmusik. Ich hatte zeitweise meine eigene Kleiderkollektion im Schrank und dachte ein paar Jahre lang, dass ich hätte in die Modebranche gehen sollen. Denn ich war mehrfach dem Trend voraus, trug schon Maxiröcke als die anderen (die mir ein Jahr später folgten) noch in Mini gingen, nähte mir eine Sache, die man heute Jumpsuite nennen würde, und strickte Kleider und Pullover die Menge. 

Wir hatten so viel zu tun, dass wir weder Fernseher, noch Handys gebraucht hätten. 

Vor ein paar Jahren kaufte ich mir einen neuen Plattenspieler. Schade, dachte ich, dass man all diese Sachen, die so sorgfältig aufbewahrt im Regal standen, nicht mehr hören kann. Und wirklich legte ich ein paar Tage lang die alten Platten auf, nicht nur die klassischen. Ich hörte Doldingers Passport und Barbra Streisand (was für eine Stimme!). Aber der Hype war schnell vorbei. So schnell, dass ich sogar vergaß, den Doldinger, den ich meinem Sohn vorgestellt habe, wieder weg zu packen.

Erst dieser Tage fiel mir der Plattenspieler wieder ein.

Weil nämlich mein migrantischer Jungnachbar noch immer die Angewohnheit hat, während meiner Home-Office-Bürozeiten seine Maschinen anzustellen, dass bei mir die Wände wackeln. Jedenfalls klingt das so, als würden irgendwelche Werksanlagen rumsen (erinnerte mich an mein Schülerpraktikum in der Pressenfabrik). Erst bei genauerem Hinhören erkennt man, dass es sich um etwas handelt, das ich Türkenmetal nenne.

Ein Bekannter empfahl mir neulich, ich solle doch einmal Wagneropern in voller Lautstärke auflegen und dann einkaufen gehen. Nun bin ich aber kein Wagnerfan, nie gewesen, und wollte das auch meinen übrigen Nachbarn nicht antun, fand die Idee ansich jedoch gut.

Ich werde jetzt so peu à peu meine klassischen Platten zum Einsatz bringen. Natürlich nicht erst nachmittags, sondern dann, wenn Jungchen noch schläft, was keine Kunst ist, denn vor zwölf am Mittag steht der nicht auf. Der Plattenspieler steht direkt an seiner Wand.

Begonnen habe ich mit Renaissance-Musik, die ja noch ganz gefällig ist, auch wenn man sie lauter hört, allenfalls nervig für nicht-Geübte, wenn über eine halbe Stunde lang das gleiche Thema in Variationen durchgespielt wird.

Also nicht, dass Händel, den ich für morgen geplant habe, nervig wäre. Im Gegenteil, ich liebe ihn. Und wenn er so richtig aufdreht mit Chören, Streichern, Bläsern und der Pauke gibts richtig was auf die Ohren und … ja, auch mit ins Herz. Meins jedenfalls.

Für übermorgen könnte ich mir Beethoven vorstellen. Mal sehen, was ich da da habe.

Dass der Nachbar heute seine Fabrik aus gelassen hat, halte ich erst einmal für Zufall.

Und, nein, nichts zu danken, man tut ja gerne etwas für die musische Bildung seiner Mitmenschen. 

Dankbarkeit

Ach, dujeh, der Muttertag.

Meine Schwiegertochter kündigte am Abend zuvor ihren Besuch (mit dem Mofa 1,5 Stunden) an, mein Sohn (ebensolange mit den ÖVM) fühlte sich durch die Frau/Freundin gut vertreten, meine Tochter rief irgendwann am späten Nachmittag an und teilte mit, dass sie es es ja – wie bekannt – nicht so sehr mit dem Muttertag habe, aber dennoch gedacht hätte, kind könne ja mal anrufen.

Tatsächlich hatten wir es im Osten nicht so mit dem Muttertag. Der Internationale Frauentag hingegen war wichtig. Die Firmen machten dafür Geld locker und ich erinnere mich, dass die Männer am Vorabend durch die Büros schlichen und Geschenke auf den Frauenschreibtischen hinterließen.

So oder so kann man mal nachdenken, über Frauen, , Mütter und sogar Väter.

Unsere Generation wurde ja zumeist von Müttern großgezogen. Die Väter waren die Geldranschaffer und deswegen viel nicht da. Waren die Mütter inkompetent, dann drohten sie bei Erziehungsproblemen mit den am Abend heimkommenden Vätern, was Unmengen von Kindern stundenlange Ängste bescherte. Die taffen Mütter lösten die Probleme allein. Gleichwohl, so lese ich heute in DIE ZEIT, prägten uns Väter auch, so abwesend sie auch gewesen sein mögen.

Was ich umso interessanter finde, als heute eine Freundin aus der Kur heraus mir mitteilte, ihr Gespräch mit der Psychologin hätte die Erkenntnis gebracht, dass ihre wie auch immer gearteten Probleme auf Unaufgelöstes mit dem Vater zurück zu führen seien.

Jeder trägt so sein Päckchen, dachte ich mir da, war jedoch gleichzeitig froh, in meiner und nicht in ihrer Familie groß geworden zu sein, auch wenn es nicht leicht war, als Jüngste von Vieren, die Älteren allesamt hochbegabt, heran zu wachsen. Ich kam mir stets dumm vor, was ich angesichts des nicht kleinen Altersunterschiedes auch sicherlich war. Und die Tatsache, dass jeder in dieser Familie mich kleinen Nachkömmling hätschelte, machte es auch nicht leichter, mich selbst zu behaupten.

Gleichwohl fiel mir angesichts des Gespräches mit eben dieser Freundin heute ein, dass es ein Glück gewesen war, in dieser Familie aufzuwachsen, in der unglaublich viel gesprochen wurde. So fiel es z.B. nicht allzu sehr ins Gewicht, dass meine stets ehrliche Mutter mir dermaleinst, ich war so ungefähr 12, angesichts längeren Verweilens vor dem Spiegel („Bin ich hübsch?“) mitteilte: „Was stehst du immernoch da? SO schön bist du auch wieder nicht!“

Dass ich diese Aussage noch immer erinnere, sagt einiges über deren Wirkkraft nach; dennoch bin ich den Rest meines Lebens nicht in Unmaßgeblichkeit versunken. Ich habe meine Interessen und Talente gepflegt und trat letztlich in die Fußstapfen meiner begabten Geschwister, lernte jedoch, dass meine Kinder solcherart Äußerungen von mir nie kriegen würden. Sie waren immer die Schönsten und Klügsten von allen, auch wenn mein Blick auf sie letztlich doch sehr realistisch war.

Während der Pubertät, erinnere ich mich auch, hasste ich, wie so viele missgelaunte Teenager, die Art meiner Mutter, so vieles so schön zu finden. Ihre häufige Aussage: „Ach, wie war doch … so schön!“, fand ich geradezu albern. Was, fragte ich mich nicht selten, war an diesem … so großartig gewesen? Was nur natürlich ist, denn in sehr jungen Jahren erwartet man vom Leben nur ganz großartige Sachen. 

Heute, älter als meine Mutter damals, ertappe ich mch dabei, wie ich eben genau solche Äußerungen von mir gebe (und sei es auch nur zu mir selbst). Und ich bin dankbar dafür, die Dinge so zu sehen. Ich kenne allerhand Menschen, die hochgradig unzufrieden sind, weil sie nicht von allem und jedem immer das Beste und Großartigste bekommen. Und dabei gehen ihnen die kleinen, feinen Alltäglichkeiten verloren.

Und sowieso denke ich, dass manches von dem, was ich dermaleinst an meinen Eltern, eben hauptsächlich an meiner Mutter, so furchtbar fand, sich hernach als genau richtig erwiesen hat, um mir ein hübsches Päckchen jener Resilienz mitzugeben, die man in diesem Leben eben so braucht.

Letzte Woche wäre meine Mutter 99 geworden. Was sie um 25 Jahre verpasst hat. Wir sind nicht gerade im Krieg auseinander gegangen. Im Gegenteil war ich, hoffe ich, eine halbwegs gute Sterbebegleitung. Und doch denke ich manchmal, dass ein paar oder viele Jahre länger ihr und mir zu guten Erkenntnissen und viel Versöhnlichkeit verholfen hätten.

Tak

Dass ich ihren Namen hier so schreibe(n kann), liegt daran, dass sie nicht wirklich so hieß, sondern einen viel längeren Namen hatte, den uns Deutschen beizubringen sie schon aufgab, noch bevor wir uns kennenlernten.

Sie ging mit meiner Tochter zur Schule, kam aus Thailand und war eine wirkliche gute Schülerin.

Taks Vater und Mutter waren geschieden. Oder waren sie nie verheiratet? So genau weiß ich das nicht. Jedenfalls war er der Erste aus der Familie in Deutschland. Er arbeitete in einem asiatischen Restaurant und war, oh Wunder!, verheiratet mit einer Mitarbeiterin des Ausländeramtes. Vielleicht hatte die ja mal Urlaub in Thailand gemacht. Die Liebe war jedenfalls nicht so groß, dass die beiden zusammen lebten. Vielmehr hatte ihn seine „Frau“ bei ihrem Vater untergebracht, der nach dem Tod seiner Frau allein im Haus lebte und auch kein großes Ungemach damit hatte, denn Taks Vater war die meiste Zeit nicht da. Er schlief meistens in irgend einer Abstellkammer des Restaurants, in dem er arbeitete, weil er sowieso 16 Stunden am Tag dort war. Alle paar Wochen kriegte er für eineinhalb Tage frei. Dann ging er zu seinem „Schwiegervater“, der ihn auf einer Pritsche in einer Kammer parkte, weil er dann sowieso fast die ganze Zeit schlief. So kaputt war er meist.

Tak kam eine ganze Zeit später. Ihr Vater fand, dass sie mit 12 schleunigst weg musste von der Mutter, die sicherlich nicht böse war, aber sehr beengt wohnte, so dass Tak zwangsläufig die Freier mitbekam und die, schlimmer noch, Tak wahrnahmen. Er holte sie her mit der Begründung, sie solle die Ferien bei ihm verbringen, beantragte dann jedoch einen dauerhaften Aufenthalt für sie. Was den Leuten, die für solche Dinge zuständig waren (und man hatte ja Beziehungen) schlüssig schien.

Tak landete beim neuen „Großvater“, der zunehmend begriff, wie praktisch so ein anstelliges junges Mädchen im Haushalt ist.

Hernach bekam der Großvater eine neue (wenn auch nicht mehr ganz frische) Frau aus Thailand. Und wie Taks Tante und ihr Mann in Deutschland Aufnahme fanden, ist nicht überliefert.

Das Haus war jedenfalls voll. Tak als die Jüngste wurde mit allerhand Aufgaben betraut, die den Rahmen dessen sprengten, was eine gute Schülerin leisten konnte. Sie wurde in der Schule zunehmend schlechter.

An der Seite ihrer Mutter jedoch hatte sie gelernt, wie man handelt und mit Männern umgeht. Sie handelte sich für ihre häuslichen Dienstleistungen für inzwischen vier bis fünf Personen ein ordentliches Taschengeld aus. Ihre schulischen Leistungen verbesserte das natürlich nicht.

Sie fand es nicht einmal schlimm, dass inzwischen das Haus so voll belegt war, dass ihr Vater bei seinen wenigen Erholungswochenenden mit ihr in einem Bett landete. Beengte Verhältnisse war sie gewöhnt. Nicht aber …

Da kam sie zu uns.

Es war Freitag Mittag und die Chancen, irgendwen zu erreichen, waren nicht gut. Bei uns, war klar, hätte man sie zuerst gesucht und womöglich in die ungute Situation zurück gebracht.

Ich telefonierte stundenlang, bekam die Telefonnummer des Lehrers heraus, der (Mustopf!) nicht einmal bemerkt hatte, wie sehr Taks schulische Leistungen nachgelassen hatten. Beim Jugendamt war auch niemand zu erreichen. Dann rief ich bei „Wildwasser“ an, einer Organisation für misshandelte/ missbrauchte Frauen und Mädchen. Die konnten keine Sofortlösung anbieten, sagten aber zu, dass sie prüfen würden, ob in einem ihrer Häuser ein Platz frei sei. Bis zum nächsten Tag könne das aber dauern. Taks „Großvater“ rief an und fragte nach ihr. Wir sagten, sie sei nicht da.

Tak selbst kontaktierte eine „Tante“ in siebzig Kilometern Entfernung, die, mit einem Deutschen verheiratet, nach Rücksprache mit ihm bereit war, sie aufzunehmen. Noch am Abend brachten wir sie hin.

Am nächsten Morgen stand die Polizei bei uns vor der Tür. Meine Tochter wurde befragt und ich griff ein, erzählte, was passiert war. Die Polizisten gingen wieder und wollten das Jugendamt informieren.

Tak lebte einige Monate bei ihrer Tante. Dann gab es Ärger, nicht nur, weil die 2-Raum-Wohnung mit Tak auf der Couch im Wohnzimmer zu eng war. Die Tante war eifersüchtig.

Und schließlich fand sich ein Platz im betreuten Wohnen für minderjährige Mädchen, von wo aus Tak ihren Schulabschluss machte.

Tak ist Krankenschwester geworden, hat geheiratet und ein kleines Mädchen gekriegt, das inwzischen auch erwachsen sein dürfte.

Wie es weiterging, habe ich nicht erfahren. Auch meine Tochter hat den Kontakt mit ihr verloren.

Ich hoffe, sie hat nach all dem dauerhaft „die Kurve gekriegt“.

Befindlichkeiten

Zunächst: Ich habe Kopfschmerzen. Schon seit gestern. Das mag Außenstehende nicht interessieren, aber mich nervt es, wenngleich ich froh bin, dass es NUR Kopfschmerzen sind und keine Migräne. Die kenne ich auch. Beides tritt gehäuft bei Wetterwechseln, gerne bei Sturmwetterlagen, auf. Und so im Nachhinein bin ich der festen Überzeugung, dass die Lesebrille, die mir in der ersten Klasse verschrieben wurde und später auf unerfindliche Weise nicht mehr von Nöten war, auf genau diese Wetterempfindlichkeit zurück zu führen war. Das war die Zeit, in der man noch über Frauen mit Migräne lächelte. Ich auch. Ich hatte eine Kollegin, älter natürlich, die jeden Monat mindestens einen Tag lang wegen Migräne ausfiel. Später, sehr viel später, traf es mich dann selbst. Da lächelte ich nicht mehr.

Wetter also. Das wirkt auf den Kopf, die seelische Befindlichkeit, kann fröhlich, ärgerlich oder traurig machen.

Wetter wirkt auch auf die Pflanzen.

Die freie Natur, denke ich mir, hilft sich selbst bzw. muss damit zurecht kommen. Aber meine Balkonpflanzen machen mir Sorgen. Als der Sturm heute Vormittag das erste Mal draußen rumste, ging ich um zu schauen, wen von den Kleinen ich in Sicherheit bringen muss. Die frei stehenden Tomaten im Topf habe ich rein geholt. Die anderen im Frühbeet blieben unterm Deckel. Wenigstens gibt es keine Nachtfröste mehr. Den letzten waren die ersten Tomaten zum Opfer gefallen. Ich wusste nicht, wie das aussieht, wenn Tomaten erfrieren. Jetzt weiß ich es. Es hat was von Horrorfilmen. Plötzlich erscheint alles nurmehr in schwarz-grau. Die armen Dinger.

Ich stehe an der Balkontür und rauche. (Jaja, ich weiß: Ihpfui!) Ich schaue in den Himmel, der bei dieser Wetterlage spannend aussieht. Zumal, wenn man gerade (wieder) den Versuch des Wolkenmalens begonnen hat. Wolken sind, genau wie Wasser übrigens, in der Malerei mit die schwierigsten Dinge. Dieses Leichte-Weiche hinzubekommen mit solchem Werkzeug wie Pinseln ist schier unmöglich. Ich habe seit mir das klar wurde eine Menge Videos von Malern gesehen, die das tatsächlich können. Dass sie es tatsächlich mit Pinseln hinkriegen, lässt mich an meinen Fähigkeiten zweifeln. Aber da sind auch einige, die alle möglichen anderen Werkzeuge benutzen oder mit höchstem Fingereinsatz arbeiten. Und, ja, nass-in-nass erleichtert die Sache ungemein.

Während ich so sinniere, sehe ich Vögel: Tauben, Krähen, Amseln, die ja nun wahrlich allesamt sehr anders sind. Aber eines haben sie gemein: Sie stürzen sich mit wahrhafter Begeisterung in diese stürmischen Aufwinde,  wie spielende Kinder im Wasser. Am anmutigsten sind diese beiden Amseln, die in den stürmischen Luftfluten umeinander herum tänzeln, miteinander schnäbeln (natürlich tauschen sie nur Futter für die Jungen) und schließlich irgendwo unten (im Nest?) versinken.

Da ist immernoch der Kopfschmerz, aber auch irgendwie auch ein gutes Gefühl. Die Welt, selbst wenn sie stürmt, regnet und gar nicht strahlt, ist schön, interessant und immer wieder sehenswert.

Überall.