Hilflos

Da sitzt er wieder. Eigentlich ist es mehr ein zusammengeklapptes Liegen. Er scheint zu schlafen. Da auf der Bank, die wellenförmig angelegt wurde bei der Neugestaltung der Fußgängerzone.

Ich finde diesen Bereich seit er anlegt wurde, nicht sonderlich schön, eher kahl. Früher war hier eine winzig kleine, aber eben doch Grünanlage. Ein bissel Gras, ein bissel Gebüsch. Jetzt ist alles sauber geplättelt unterhalb eines Baums, den sie stehen ließen. Und dann diese Bank, die innovativ scheinen soll eben wegen ihrer Wellenform. Gemütlicher ist sie deswegen nicht, denn den meisten Teil des Tages steht sie in praller Sonne. Daran ändert auch nichts unser städtischer Minifluss, der sinnig „Mümling“ heißt (und mich, vielleicht nicht nur mich, an einen murmelnden Bach erinnert) und daneben plätschert.

Wie so oft in den letzten Jahren, denn ich sehe ihn nicht zum ersten Mal, denke ich: Irgendwer sollte da doch etwas tun. Und gleichzeitig schäme ich mich, dass ich wieder irgendwem die Verantwortung zuschiebe und sie nicht selbst übernehme. Warum bin nicht ich es, die etwas tut?

Gleichzeitig aber frage ich mich, deckt sich mein subjektives Empfinden, dass etwas getan werden muss, mit dem Empfinden des Betroffenen? Wie z.B. wäre es, wenn ich diesem alten Mann, der sicher über siebzig ist und offenbar obdachlos, der durch seine Behinderung (Bechterev?), die es ihm nicht erlaubt, sehr viel mehr als seine eigenen Füße anzuschauen, … wie also wäre es, wenn ich ihn anspräche und Hilfe anböte?

Ein Anfang wäre, dass ich ihn zu mir nach Hause holte, ihm meine Badewanne anbiete, vielleicht vom DRK neue Kleidung holte. Und natürlich Essen, Trinken und vielleicht ein richtiges Bett zum Schlafen.

All das brächte mich nicht um. Und es müsste nicht für die Ewigkeit sein. Es gibt genug öffentliche Stellen, die ihm helfen würden. Denn so muss ja keiner seinen Lebensabend verbringen.

Und dann denke ich mir, dass jeder, der halbwegs bei Verstand ist, all das selbst weiß. Er könnte, wenn er das wollte, diese Dinge ganz allein in Gang bringen. Und dass er das nicht tut, hat doch vielleicht seinen Grund? So viel jedenfalls weiß ich: Er ist keiner von denen, die im Alkohol versumpfen und deshalb nichts mehr auf die Reihe bringen. Ja, manchmal sehe ich neben ihm eine Bierflasche stehen, aber meistens sind seine Getränke Saft und Wasser. (Erstaunlich, wie öffentlich so ein Leben auf der Straße ist.)

Und ich frage mich, welches Recht ich habe, jemandem vorschreiben zu wollen, auf welche Art er leben soll.

Schon oft hörte ich, dass Obdachlosigkeit einerseits ein Schicksal ( wenn auch hierzulande nicht zwingend), andererseits aber auch eine freie Entscheidung ist. Was weiß denn ich über diesen Menschen, so sehr es mir auch das Herz anrührt?

Geschichte

Unten, auf der Treppe unterhalb meines Balkons, höre ich eine eindringliche Kinderstimme. Ich schaue, mit der eben gepflückten Erdbeere in der Hand, nach unten und sehe: Vater, Kind (Kindergartenalter) und Kind (spätes Grundschulalter). Großes Kind redet auf den Vater, den ich als einen Pakistani, mit dem ich beruflich zu tun hatte, erkenne, fröhlich ein. Es scheint, als habe sie, die offenbar der deutschen Sprache sehr gut mächtig ist, zuweilen Verständigungsprobleme mit ihrem Vater, der – ich erinnere mich – sehr freundlich und höflich, der hiesigen Sprache aber nicht sehr mächtig ist.

Sie sagt immer wieder dasselbe. Und schließlich verstehe ich „Karl, der Große“. Und schließlich spricht auch der Vater nach, weiß aber nicht wirklich, wovon sie redet, denn sie vermeidet ganz offenkundig pakistanisches Vokabular.

Vielleicht, denke ich, spielt es in diesem Zusammenhang auch keine Rolle. Wen in Pakistan würde schon Karl der Große interessiert haben? Und ein wenig wundere ich mich, denn Karl der Große dürfte im Grundschullehrplan noch nicht vorkommen.

Gleichzeitig aber glaube ich, dass ein Kind, das mit solchem Eifer und solcher Fröhlichkeit sich eine Kultur zu Eigen macht, die nicht wirklich seine ist, vielleicht einmal ein wirklich wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft sein wird.

(Ich erinnere mich, wie ich neulich in diesem Film zu den 60ern in den USA sah, wie hochnotpeinlich Schwarze zu politischen Themen befragt wurden, damit man sie als Wähler ablehnen konnte. Hierzulande macht das keiner. Wenn aber wir das täten, würde dieses Mädchen dermaleinst mit Bravour bestehen. Denn: Wer schon weiß, was es mit Karl dem Großen auf sich hat?)

Milagro

Ich sitze auf dem Balkon. Der Himmel ist mit einer homogenen Wolkenschicht bedeckt. Einsam fliegt ein Doppeldecker.

Vorhin, auf der Sonnenseite, zeigte das Thermometer 40 Grad, was natürlich übertrieben und der direkten Sonneneinstrahlung geschuldet war. Aber hier, auf der anderen Seite, ohne Sonne, fühlt es sich genauso an. Jeder Atemzug ist ein Kampf, jede Bewegung ein Ereignis.

Bereits dieser Tage dachte ich, dass wir in Mitteleuropa gut reden können, wenn es um Fleiß und Arbeitseifer geht. Es ist schließlich mehrheitlich kühl genug, auch wenn sich in den letzten Jahren die heißen Tage häufen. Ich erinnere mich an Sommer Ende der Siebziger/ Anfang der Achtziger, in denen ich durchgängig in meinem Nord-Büro langärmlig zur Arbeit ging. Ich fror. Man stelle sich das vor im Juli/ August.

Inzwischen geben wir uns zwar weiterhin leistungsbereit und vernünftig, haben aber, denke ich, ein Verständnis dafür entwickelt, warum in südlichen Ländern der Mittagsschlaf gepflegt wird. Nicht, dass ich selbst je ein Problem damit gehabt hätte. (Wortreich erklärte ich dieser Tage Tochterkind, dass es ganz und gar ein Mythos der modernen Industriegesellschaft sei, dass Menschen zwischen 13 und 16 Stunden am Stück wach sein sollten. Aus meiner Sicht funktioniert das nicht. Irgendwo in diesen 16 Stunden muss eine Ruhepause sein, die länger ist als die übliche betriebliche Mittagspause von 30 Minuten. Dass wir uns aus falschem Leistungsverständnis heraus immer wieder zusammenreißen, weitermachen, durchhalten ist schlichtweg verkehrt. Selbst früher, als wir den Menschen der Agrar- oder Industriegesellschaft Beschäftigungszeiten von zwölf und mehr Stunden zuschrieben, taten sie das nicht durchgängig. Irgendwann klappten sie am Feldesrand oder neben der Maschine mal eine Zeit weg, die länger als 30 Minuten dauerte. Denke ich. Meine ich, gehört zu haben.)

Dass der Mittagsschlaf ein „Moment der Ruhe, der Wollust und ein Akt des Widerstands“ ist, lernte ich aus „Die Kunst des Mittagsschlafs“. Die Erwähnung des Umstandes, dass Mittagsschlag ein Luxus ist, erübrigt sich, denke ich.

Als ich die portugiesische Backwaren-Verkäuferin dafür bewunderte, dass sie ihren Laden, schon im Abschließen begriffen, zehn Minuten nach halb eins (in der Nacht!) für einen Nachzügler noch einmal öffnete, dachte ich nicht weiter nach. Aber, klar, irgendwann muss die auch schlafen. Dann wohl am Tag, ist mir klar. Und warum auch nicht, wenn doch alle anderen auf rätselhafte Weise zwischen zwölf und vier am Nahmittag verschwinden. Nur wir dussligen Touristen traben da durch die Gegend und wundern uns über die „faulen“ Südländer. In Wahrheit möchte ich sehen, wo in Mitteleuropa Ämter (irgendwann in Griechenland) bis abends neun Uhr geöffnet sind.

Während ich so sitze, schwer atme und sinniere, denke ich an Mexiko im Buch „Milagro“, das ich vor vielen Jahren begeistert las und später verfilmt sah. Alles döst bei diesen ewig gleich heißen Tagen vor sich hin. Jede Aktivität fällt schwer. Aber wenn es darauf ankommt, gibt es auch da Widerstand. Träge scheinend, aber nicht minder wirkungsvoll.

Und gleich hinterher „Hundert Tage Einsamkeit“ und zwei, drei Filme über den italienischen Sommer weitab vom Meer.

Überall drückende Hitze, die den Körper in Zeitlupe versetzt. Aber der Geist bleibt auf unerklärliche Weise wach, ist inspiriert und außerordentlich sinnlich, denn Hitze ist eine körperliche Erfahrung.

Manchmal, denke ich, sollte unser Geist mehr dem Körper lauschen.

(Nationalitäten)Spielchen

Die weiter entfernten Nachbarn (Rumänen/ Bulgaren?) von drei Häusern weiter unten haben ihren Sperrmüll rausgestellt. Es liegt in der Architektur unserer Gasse, dass sie das einige Meter vor unserem Haus tun. Zu ihnen herunter kommt kein Müllfahrzeug. Und es mag im Unverständnis des hiesigen Systems liegen, dass sie es tun, wenn der Sperrmüll anfällt, nicht jedoch wenn dessen Abholung kurz bevor steht.

Als ich neulich herunter sah, stellte ich fest, dass der Sperrmüll weniger geworden ist. Beinahe, dachte ich, würde es sich gar nicht lohnen, eigens dafür ein Fahrzeug kommen zu lassen. Ich war nur bedingt verwundert, denn jeder kennt das: Es gibt nur wenige Dinge, die nicht noch einen Abnehmer finden, wenn man sie denn nur lange genug stehen lässt.

Wieder einige Tage später brachte ich meinen eigenen (Normal)Müll herunter und wurde dessen ansichtig, wie mein russischer Hausnachbar unter Aufbietung einiger Kräfte einen der noch verbliebenen Teppiche mitten auf die Straße zerrte. Meinen erstaunten Blick bemerkend, beklagte er sich, dass dieses Zeugs da wieder Monate lang dort liegen würde. Was ich nicht glaube. (Ich glaube rein grundsätzlich erst einmal an das Gute im Menschen.)

Ich ahnte, dass er auch für den Sperrmüllschwund verantwortlich sei und stellte fest, dass vieles vom „verschwundenen“ Müll sich auf zauberhafte Weise wieder in Richtung der Haustür der Verursacher bewegt hatte und damit deren Zufahrt blockierte. Ich ahnte ferner, dass die Blockierung unserer (öffentlichen) Straße den Zweck verfolgen sollte, dass jemand sich beim Ordnungsamt beschwert.

Inzwischen hat jemand (vermutlich die Rumänen/ Bulgaren) den Sperrmüll wieder am bekannten Ort zusammen getragen. Und nach meiner Rückkehr vom Einkaufen war schon wieder etwas von davon wie von Geisterhand auf die Straße gewandert.

Während ich, vom Gewicht meiner Einkaufstasche schnaufend, den Berg zu meinem Haus erklomm, kam der erwachsene Sohn der Chinesen, die ihr Häuschen unmittelbar am Ereignisort haben, heraus und begann, die Sachen von der Straße zu räumen und den Sperrmüll ordentlich aufzuschichten.

Jetzt sieht alles wieder gut aus.

Jetzt.

Aber ein Ende ist nicht abzusehen.

(Von meiner türkischen Nachbarin, die mir – wieder einmal – die Tür vor der Nase zuschlug, rede ich heute nicht.)

Himmel! Was für Himmel!

Es gibt Menschen dieser Tage, die behaupten, der Sommer dieses Jahr tue sich schwer, ein solcher zu werden. Vielleicht, sagen sie, wird es gar keiner.

Ich währenddessen sitze auf meinen Balkonen, mal dem einen, mal dem anderen, und staune ob der Wolkenvielfalt. Da kommt die Malerin durch, die es gerade eben wieder einmal versucht: Himmel malen. Was so ziemlich das Schwierigste ist, was so ein Maler leisten kann.

Denn Himmel sind beileibe nicht immer blau wie auf Kinderbildern. Und Wolken sind in ihrer Luftigkeit und manchmal Schwere und manchmal Vorder-/Hintergründigkeit … eine ganz eigene Welt.

Ich erinnere mich gelegentlich an diese eine Kollegin, die morgens, es war Winter, etwas wirklich Unwichtiges erzählte, während ich am Fenster stand und diesen wahrhaft spektakulären Sonnenaufgang betrachtete, mich daran nicht satt sehen konnte.

Ich unterbrach ihren belanglosen Redefluss, in dem sie mir von Menschen berichtete, die ich nicht kannte, und deren vermeintlich skandalösem Verhalten, indem ich nach draußen wies, wo dieses rosa-violette Feuerwerk stattfand. Sie sah einen Moment lang nach draußen, sagte irgendwas wie „Jaja, ganz nett.“ und schwafelte weiter.

Nie werde ich begreifen, dass Menschen die Grandiosität der Natur so beiläufig abtun können. Ich selbst kann stundenlang schwelgen in diesem Farbenfeuerwerk, das leider nicht stundenlang anhält. In jeder Sekunde passiert eine Änderung, alles bewegt sich. Und die wunderbaren Effekte von goldig umrandeten, rosa-wattigen Wolken (abends um halb Zehn, ok. eigentlich erst halb Neun), von rosa, lila, orangenem Budenzauber verschwinden so schnell.

Eigentlich, denke ich dieser Tage, ist so ein nicht ganz richtiger Sommer auch mal ganz schön.

Ein wenig fühlt es sich an wie in der Karibik, wenn die Sonne in Richtung Spätnachmittag/ Frühabend steht, also schräg, und man den Regen fallen sehen kann. Einen irgendwie gemächlichen Regen mit dicken Tropfen und dazwischen schwebt eine Mischung aus allerhand Insekten und Pflanzenzeugs, Dinger, die wie kleine Fallschirme sind. Und obendrüber dieser wilde Mischmasch aus Himmelblau und Weiß und Grau und Gold und Orange.

Dieser Sommer, denke ich, wird gut. So oder so.

„Du nehmen Eimer!“

Da wir einmal von Afrika sprechen.

Neulich sah ich einen Bericht über Rassismus. Hier in Deutschland. Den ich nicht in Abrede stelle. Dennoch schienen mir manche Beispiele nahezu abstrus.

Sind wir zu empfindlich geworden?, fragte ich mich und machte der Sicherheit halber diesen Test, der mich in meiner Selbstwahrnehmung um Jahrzehnte zurück warf.

Ich sei, attestierte mir dieser Test, mehr als nur mittelmäßig rassistisch.

Umpf!

Wie der Zufall so will und alle reden ja davon, lief mir bei FB ein Video über den Weg, in dem so ein Personaler zwei hochqualifizierte Bewerber wider jegliche bessere Wahrnehmung behandelte, als müssten sie froh sein, einen Putzjob zu kriegen, obwohl sie Hochschulabsolventen waren. Vehement sprach er sie in diesem „du mich verstehn“-Slang an, obwohl sie in fehlerfreiem Deutsch antworteten. Er bestätigte ihnen auch, perfekte Bewerbungsunterlagen eingereicht zu haben und fragte gleichzeitig an, wer das für sie gemacht hätte.

Uswusf.

Ich meine ja, man muss nur mit den Leuten reden. Wenn das möglich ist, interessiert mich die Hautfarbe und Ethnie überhaupt nicht.

Und ich glaube auch, überzogene Filmchen wenden das Problem nicht ab. Im Gegenteil.

Wenn ich, die ich ja nicht blöd bin, mich in einem solchen Filmchen nicht wiederfinde, kommt mir diese ganze Kampagne absurd vor. Und ich frage: Übertreibt ihr da nicht?

Und, ja, natürlich übertreiben sie und finden es der Sache auch noch angemessen.

Wir aber, hier in Deutschland, haben es allenfalls mit latentem Rassismus zu tun. Über den man reden kann. Vernünftig.

Ich selbst spreche mich davon nicht frei, obschon ich mich noch immer frage, was so schlimm daran ist, jemanden zu fragen woher er kommt, da offensichtlich nicht von hier. Ich selbst, als Thüringerin in Hessen (vorher Schwaben) habe diese Frage etliche Male gestellt bekommen und mich zwar genervt, aber nicht rassistisch angegriffen gefühlt.

Genauso gibt es ganz viele andere Dinge, die als Rassismus wahrgenommen werden, obwohl sie vielen anderen Ursprüngen entspringen, aber ganz und gar nichts mit Rassismus zu tun haben.

Menschen, das kann sein, sind vielleicht nicht immer taktvoll, reagieren auf anderes, als das, was sie kennen, merkwürdig, aber sie tun das sehr viel weniger aus Gründen der Diskriminierung als aus Neugier oder schlimmstenfalls Dummheit.

Sie deswegen in Acht und Bann zu tun, bewirkt keinen erzieherischen Effekt, sondern Widerstand. Weil die Menschen nicht verstehen, was sie falsch gemacht haben.

Vielleicht, denke ich manchmal, ist es zu einfach gedacht, den Menschen immerfort zu sagen: DAS DA ist verkehrt. Sie müssen verstehen, warum. Und man muss ihnen zugestehen, Einwände geltend zu machen, nachzufragen, korrigierend in Richtungen einzugreifen, die sie zwar für richtig, aber eben für nicht ganz richtig halten.

Nicht jeder, der Einwände hat, ist wirklich dagegen. Mache ich aus ihm jedoch einen Gegner, wird er das auch.

Wer kann das wollen?

Der Thron

Anfang der Achtziger war ich, in der ersten Runde, nicht mehr ganz so frisch geschieden, dafür aber glückliche Bewohnerin einer Neubauwohnung, deren einziger Nachteil, man ahnt es, der war, dass sie vor den Toren der Stadt lag.

Mit Straßenbahnfahren ging ein hübsches Stück meiner und meiner kleinen Tochter Lebenszeit drauf. Und so mag das Lächeln, das ich den geheimnisvollen dunklen Männern, deren Wohnheim auf dem letzten Stück des Weges lag, gelegentlich schenkte, eher müde als irgendwas sonst gewesen sein. Dennoch erreichte es Manou, der sehr bald auf mich zu warten schien, mir hinterher lief, vor dem Fenster meiner Parterrewohnung nach mir rief. Obwohl ich ihm gesagt hatte, ich sei verheiratet. Manou erwiderte, er sähe keinen Ring an meinem Finger.

Ich weiss nicht, was sie den Männern, die von so weit her kamen, über uns erzählt hatten. Aber ich weiß, dass Manou irgendwann, als er mich frühmorgens mit einem anderen in die Straßenbahn steigen sah, furchtbar wütend wurde. Seine Freunde mussten ihn zurück halten. Dabei hatten er und ich kaum zehn Sätze miteinander gesprochen. Dass er mich für eine „schlechte Frau“ hielt, war mir egal, auch dass ich fürderhin von ihm tapfer ignoriert wurde. Es war mir eher recht.

Manou kam aus Mosambik. Über das ich nicht mehr wusste, als dass es ein „Bruderland“ war. Befreites Afrika, das zu unterstützen sei. Damit „die Bewegung“ wachsen kann.

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Oft braucht es lange, sehr lange, ehe man zu begreifen beginnt.

Dieser Tage hörte ich, wenn auch nicht zum ersten Mal, „Eine Geschichte der Welt in hundert Objekten“. Ich hatte es schon einige Male gehört, aber verstanden erst eben bei diesem Mal. Da war von Mosambik die Rede. Das sich Mitte der Siebziger von seiner Kolonialmacht Portugal befreit hatte.

(Ich sah sie vor mir, die jungen Portugiesen, die einvernehmlich klagten, dass die Mosambikaner nichts zuwege brachten, seit sie die Portugiesen davon gejagt hatten. Eine von ihnen war sogar noch in Mosambik geboren worden. Wir hatten sie auf dem Campingplatz kennen gelernt. Und begriffen nicht, wie man einer überkommenen Sache wie dem Kolonialismus hinterher trauern konnte. Aber wir dachten: Ganz schön arme Würstchen sind das, wenn sie ohne ihre Kolonien selbst nichts auf die Beine bringen. Das war Anfang der Neunziger und irgendwie war keiner von uns allen, die wir da saßen, Whisky tranken und nach Mitternacht tanzen gingen, sich darüber im Klaren, dass in Mosambik immernoch gekämpft wurde. Nach dem Freiheits- der Bürgerkrieg.)

Und ich hörte, dass die Kämpfer um Freiheit, denen man solches so selbstverständlich zutraute, nicht zwangsläufig die sein mussten, die auch in der Lage wären,das Neue aufzubauen. Ich hörte auch, dass der Krieg in Mosambik der Blutigste von allen in Afrika war. 300.000 Kriegswaise hat er zurück gelassen, die ihrerseits nichts anderes kannten als kämpfen, auch wenn die Waffen manchmal größer waren als sie selbst.

Erst nach dem Krieg, in den Neunzígern, als noch immer jede Menge Waffen kursierten und doch endlich einmal Ruhe und Friede herrschen sollte, kam einer auf die Idee, die Waffen einzusammeln (ich glaube, gegen Belohnung) und daraus Kunst zu machen. Und ein mosambikanischer Künstler, der sich Kester nannte, schuf unter anderem dies:

(Thron of Weapons – British Museum)

Den Waffenthron. Keinen Stuhl, wie es ihn hierzulande in jeder Küche gibt. Denn in Afrika sitzt man auf dem Boden. Ein Stuhl ist den Herrschern vorbehalten. Deswegen Thron. Neil McGregor, der all das berichtet, weiß auch von der Zusammensetzung des Stuhles zu erzählen, der Zeugnis über die Geschichte des Krieges ablegt. Waffen aus aller Herren Länder, die das eine oder andere Interesse daran hatten, dass Mosambik k/ein freies Land sein soll.

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Und ich frage mich, was aus Manou geworden ist, den sie – wie alle anderen aus den „Bruderländern“ – nach drei Jahren mit einer Berufsausbildung nach Hause geschickt haben. Er kam in ein Land, in dem noch immer Krieg war. Und hatte gute Gründe, sich ein Hierbleiben zu wünschen.