Wohltäter

Die Freiheit ist in aller Munde, wobei die Meinungen darüber, was eigentlich das ist, doch sehr auseinander gehen.

Die Einen, vor 32 Jahren und Monaten gingen dafür auf die Straße, dass sie reisen können, wohin sie wollen. Und, ja, sie wollten auch sagen können, was sie wollen.

Die Anderen, heute, fühlen sich durch die Umstände begrenzt und unfrei. Und damit man ihnen Recht gibt, zweifeln sie die Begründungen für die Umstande an. Das sei ihnen unbenommen.

Ist das nicht Freiheit?

Und dann gibt es noch jene, die die absolute Freiheit verkünden. Es soll nicht nur jeder frei sein, zu tun und zu sagen, was er will, sondern auch so frei, für alles in seinem Leben die Verantwortung zu übernehmen. So ganz selbst.

Was ein Abgesang an Solidargemeinschaften wäre.

Und es ist nicht erstaunlich, dass Letztere jene sind, die der Meinung sind, sie könnten das Dank ihrer guten Einkünfte tatsächlich schultern. Private Kranken- und Rentenversicherung, keine Steuern, bezahlte Schulen für die Kinder undundund …

Bismarck, dem man das System der Sozialversicherungen zuschreibt, hatte gute Gründe für seine Aktivitäten. Er war womöglich kein Menschenfreund (Aber: Wer weiß das schon?), jedoch Kommunistenvermeider.

Die heutigen Liberalen, die der totalen Freiheit (sprich: Eigenverantwortung) das Wort reden, überblicken diesen Zusammenhang nur schwer. Das Fußvolk, das Freiheit prima findet, möchte ihnen in letzter Konsequenz dann doch nicht folgen.

Wenngleich da das Gerücht geht, dass die wirklichen Großverdiener, die in den Welt-Toplisten stehen, ja neben ihrer Steuervermeidung auch wahnsinnige Wohltäter sind. Sie haben nicht nur hochfliegende Finanzen, sondern auch ebensolche Ideen und ihre Börsenwerte knallen durch die Decke. Dabei gründen sie auch noch Stiftungen für alles Mögliche und bringen die Menschheit voran.

Z.B. der mit diesen Autos, der jetzt eine Fabrik in Brandenburg (oder wars Meck-Pom?) aufgemacht hat. Mit nur einem Schönheitsfehler. Das Ding verbraucht unglaublich viel Wasser. Was der Natur nach i.d.R. Trinkwasser ist. Hierauf von einer Reporterin angesprochen, kriegt E.M., der damit seine Ahnungslosigkeit (oder ist es Frechheit) bekundet, einen regelrechten Lachanfall. Es würde ja hier so viel regnen. Nicht in Brandenburg (oder wars Meck-Pom?), was die Niederschlag-ärmsten Gegenden in Deutschland sind.

Außerdem gäbs da doch seine Erfindung, mittels derer man Wasser aus der Luft gewinnen könnte.

Es wird verwiesen auf einen erfolgreichen Versuch in Hamburg.

Dort angekommen, sehen die Reporter lediglich eine Art Baugerüst, das die Formen der ihnen zuvor virtuell gezeigten Anlage andeutet, aber bislang noch keinerlei Nutzwert hat.

Weder ist die Wasserzauber-Firma den vermeintlichen Partnern Siemens und Co bekannt, noch gibt es ein entsprechendes Patent. Hierzu befragt, bricht der Pressesprecher, den sie in Hamburg vor das Gerüst stellten, empört das Gespräch ab. Ja, wenn man ihm nicht glauben würde …

In Jena an der Uni lacht der Prof freundlich über die Idee der Wassergewinnung aus Luft. Das KANN ja mal funktionieren! Aber nicht kontinuierlich. Irgendwann ist das Wasser aus der Luft (Luftfeuchtigkeit) weg und die Wolken auch. Das kommt auch nicht so ohne Weiteres wieder.

Und irgendwie schließt sich da der Kreis mit der Freiheit. Freie Menschen nach heutiger liberaler Lesart zahlen keine Steuern und dienen dem Gemeinwohl, indem sie ihrem eigenen Konto nutzen und dem Rest der Menschheit klar machen (wollen), das ihr Nutzen auch deren Nutzen ist.

Sei es so gelogen wie auch immer.

https://www.ardmediathek.de/video/kontraste/wasserwunder-fuer-den-tesla-standort/das-erste/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUva29udHJhc3RlLzIwMjItMDEtMjdUMjE6NDU6MDBfNzUzOTQ0YWItY2Y0MS00NmQ2LTgyYTQtODk3MmE3MTZiNDg5L3dhc3Nlci13dW5kZXItZnVlci1kZW4tdGVzbGEtc3RhbmRvcnQtaW4tZ3J1ZW5oZWlkZQ/

Fletchers Visionen

Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lang nicht, dass sie nicht trotzdem hinter dir her sind.

Lassen wir mal die Herkunft des Zitats außer Acht und wenden uns den Befindlichkeiten zu, die es auslöst.

Ich bin, aus mancherlei Gründen, zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Was in 2021 nett war, denn sie hatten den Abgabetermin vom 31.05. auf den 31.10. verschoben.

Für einen Prokrastinierer wie mich ist das natürlich vollkommen ohne jede Relevanz.

DENN: Ich bin immer, quasi aus Prinzip, zu spät.

Das lief in den vergangenen Jahren so ab, dass ich den Termin verstreichen ließ, eine Aufforderung zu einem weiteren bekam und bei Nichteinhaltung (was die Regel war) eine Steuerschätzung, die meinen trägen Körper und Geist in Schwung brachten, so dass ich meine Erklärung nun (endlich!) in Kombination mit einem freundlichen, aber bestimmten Einspruch einreichte.

In diesem Jahr lief das ähnlich. Bzw. es hakte an der Stelle mit der Steuerschätzung.

Ich bekam eine Erinnerung, die mir den Termin 06.12.2021 setzte. Und wundere mich, seither nichts mehr vom Finanzamt gehört zu haben.

Die halten einfach den Mund.

Und nun erzählte mir meine befreundete Kollegin, dass ihr Mann, der eine nicht hohe, aber immerhin: Erstattung erwartet hatte, nun eine Nachzahlung leisten muss. Wegen verspätet eingereichter Erklärung.

Und nun ahne ich, dass mein Homeoffice-Bonus, -Gewinn, nenn es, wie du willst, sich gegen die Strafzahlung aufrechnen wird.

Dumme Kiste!

Ich stelle mir vor, man könnte im Alltag jedem und jeder, die irgend etwas sträflich vernachlässigen, liegen lassen, nicht tun, eine Strafzahlung aufs Auge drücken … was wäre ich doch reich!

Um mich herum lauter melancholische Menschen, die sich über die Jahreszeit, das Sch…wetter und die dunklen Tage beklagen, denen man ja noch nicht anmerkt, dass sie länger werden. Menschen, die offen oder insgeheim all den Dingen nachweinen, die sie in den letzten zwei Jahren versäumt haben. Menschen, die unsere Kinder genau aus ebendiesem Grund bedauern.

Ich sah gestern Abend einen Bericht über diesen denkwürdigen Winter ´78/´79, den ich zwar gut erinnere, dessen Tragweite mir damals aber keinesfalls so bewusst war. Ich erinnere mich, wie ich bei angenehmen(!) 15 Grad unter Null mein Kind, dick eingemummelt, in seinem Wagen nach Hause schob. Die Feiertage war ich bei meinen Eltern gewesen und kann mich nicht erinnern, dass Strom oder Heizung ausgefallen wären. Aber vielleicht kam das auch erst später. Ich kam in meine ofenbeheizte Wohnung, in der es 3 Grad plus war und heizte, heizte den ganzen Tag. Irgendwann am Abend hatte ich es schließlich auf +18 Grad hochgeheizt. Besucher kamen, denen ich erst einmal die leeren Kohleneimer zum Nachschubholen in die Hand drückte. Und dann saßen wir zu Dritt auf meiner Couch, alle unter einer Decke, und tranken ein Halb-und-Halb-Gemisch aus heißem Tee und meinem selbst gemachten Rumtopf (Himbeeren, Pflaume, Birne) und wurden langsam fröhlicher und warm von innen und außen.

Ich kann mich nicht erinnern, von all dem Elend rundum gehört zu haben und frage mich, ob es wirklich gut ist, so wie heute immer über alles stets informiert zu sein. Ohne Fernsehen und mit nur gelegentlich Radio war die Welt weniger beunruhigend.

Gestern aber sah ich jenen Bauer, der Tränen vergoss, weil sein Vieh im Stall wegen der ausgefallenen Melkmaschinen brüllte und die Kälbchen erfroren. Und ich sah auch jene, die sich bitter beklagten, weil „die Regierung“ so unfähig sei, das nicht vorausgesehen und keine Vorkehrungen getroffen hatte.

„Mitten im Zwanzigsten Jahrhundert!“, sagte der Eine.

Daran dachte ich heute früh bei den Bildern aus Washington. 400 000 Menschen ohne Strom. Und vermutlich die Wenigsten davon im Besitz eines Kachelofens wie ich damals.

Irgendwer wird da sicher auch sagen „Diese Regierung!“ und „So etwas Anfang des 21. Jahrhunderts!“.

Irgendwer sagt immer was. Aber zum Glück sind/waren da auch die Anderen, die zupack(t)en. Die Bauern, die sich trotz des Schneesturms und der hohen Schneeverwehungen aufmachten, diese 800 Schafe, die unter dem Schnee kaum zu finden waren und seit sechs Tagen nichts gegessen hatten, in Sicherheit zu bringen. Die Soldaten, die bei 25 Grad unter Null im Tagebau mit der Spitzhacke die Braunkohle aus dem Boden holten. Oder die, die mit ihren Panzern die meterhoch zugewehten Straßen freimachten. Und dabei dachten, dass so ein Soldatenleben nie sinnvoller war als gerade eben.

——————————————–

In der Nacht habe ich einen Kindertraum.

Ich träume, wie die Räumlichkeiten einer bebauten Brücke an einem uralten Bahnhof, riesig groß, für wenig Geld zum Verkauf stehen. Und ich denke mir, dass da Menschen zusammen kommen könnten. Keine große Gastronomie, sondern einfach nur Tische und Stühle/ Sessel/ Sofas, wie man sie halt auftreiben kann, und bestenfalls ein paar Kalt- und Warmgetränke. Wer essen will, muss sich sein Essen mitbringen, dachte ich zwischendurch.

Und dann komme ich da rein und sehe wunderbar verschnörkelte kleine Tische, Beistelltische, Vitrinen, Schnörkelsessel undundund … und ich bin so entzückt dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich gleich anfange, alles herzurichten oder lieber so stehenlasse, wie es für den Privatgebrauch da steht. Und ob überhaupt da eine Öffentlichkeit reinsoll, die das vielleicht nicht zu schätzen weiß und nicht sorgsam behandelt. Und dieses Entzückens nicht genug, dringe ich, ein bisschen aus Versehen, ein bisschen aus Neugier, in die Privatgemächer der Eigentümerin, die nicht zu verkaufen sind und sich in den Pfeilern des Brückenbaus befinden, vor. Die da, entgegen der Meinung ihrer Entourage, welche mich abweisen möchte, mich gnädig herbeiwinkt mit der Bemerkung, sie wolle doch mal sehen, wer da ihre Räumlichkeiten in Zukunft besitzen und bewirtschaften würde.

Alles ist so wunderbar edel, weiträumig, verschnörkelt und gestrig, dass ich am Liebsten bleiben würde …

——————————————-

Vielleicht, denke ich mir ein paar Stunden nach dem Aufwachen, als der Traum noch immer nicht verschwunden ist, rettet so manch einen von uns ja tatsächlich das Schöne im Außen und Innen über manche schlechte Zeit. Nicht alle Kunst, Handwerkskunst, Musik, Literatur usf. muss gegenständlich sein. Haben wir sie einmal erfahren, sind sie in uns und müssen keine Dinge (mehr) sein, um da zu bleiben.