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oder: Zwischen riesengroß und winzigklein

Morgen rast der Asteroid mit o.g. Nummer an der Erde vorbei. Knapp, aber außerhalb dessen, was wir als ernsthafte Gefahr betrachten. Übermorgen gleich noch einer (dessen Namen ich vergessen habe). Beide erinnern uns (also die Menschen, die sich interessieren) daran, dass unser Leben immer und allzeit in Gefahr ist. Ohne von Menschen gemachte Kriege, Klimaprobleme undundund.

Da helfen keine Versicherungen für oder gegen alles Mögliche und auch keine Bausparverträge. Auch wenn der Mensch der Neuzeit meint, er müsse immer und für alles die hundertprozentige Sicherheit haben. (Erinnern Sie sich nur an die Zweifler der Covid-Impfung. Aber das, wirklich, nur ganz nebenbei.)

Ich währenddessen stricke. Alpaca. 400 Meter Lauflänge auf 50 Gramm Wolle. Das ist wie Spinnwebenstricken oder des Kaisers neue Kleider, aber unheimlich schick. Nicht nur deswegen, weil die Wollpullover von einst aber sowas von aus der Mode gekommen sind. Schließlich sind unsere Räume immer gut geheizt. (Oder doch nicht? Wer weiß, was uns die Neuzeit noch bringt, wenn auch uns der Gashahn abgedreht wird.) Aber erst einmal kommt sowieso der Sommer. Mit vielleicht dem einen oder anderen kühlen Abend. Da ist so ein Hauch von einem Nichts-Pullover vielleicht genau das Richtige?

Wir wissen nie, was auf uns zukommt. Und dennoch tun wir Dinge, von denen wir annehmen, dass sie etwas Vorwärtsgewandtes, Zukunftsträchtiges in sich haben.

Würden wir verzweifeln, zum Beispiel, weil so ein Asteroid auf uns zurast, müssten wir aufgeben, erstarren, stagnieren. Aber wir hoffen immer, dass es weitergeht und gut wird.

Und wenn es sich dann auch noch so gut anfühlt wie Alpaca, hat sich alles gelohnt, auch wenn es morgen oder übermorgen vorbei wäre. Zum Glück ist das unsere Natur.

Atemlos

Wir reden, schreiben und denken in den letzten Jahren so viel über Emanzipation, wir glauben, dass wir ihr ein gehöriges Stück näher gekommen sind. Und manchmal, gerne von Männern, kommt der Gedanke, wir Frauen würden es inzwischen übertreiben. Es sei doch alles in Ordnung.

Wir verdienen gleich viel für die gleiche Arbeit. Und wenn wir weniger verdienen, liegt es daran, dass wir uns halt zu sehr bescheiden, schlecht bezahlte Berufe wählen, nur in Teilzeit arbeiten oder aber nicht gut verhandeln können.

Dass es beileibe nicht so einfach ist, wurde mir neulich bewusst.

Ich sah „Proxima – Die Astronautin“, weil ich mich für Raumfahrt und das Weltall interessiere. Umso tiefer traf es mich, dass es ganz und gar nicht darum ging (der gesamte Film spielt auf der Erde), sondern darum, wie Frauen, die nach großen Zielen streben, am Ende doch auf die Grenzen ihrer Biologie zurück geworfen werden: Wie erkläre ich meiner siebenjährigen Tochter, die ich gerade für ein Jahr zu verlassen mich anschicke, dass ich sie dennoch liebe, dass es wichtig ist, was ich tue, und ein Privileg für mich als Frau (nur zehn Prozent all derer, die im Weltall waren, waren Frauen)?

Und wie komme ich selbst, so als Mutter, mit dieser Sache zurecht?

Böse Zungen behaupten, wenn ich große Karriereinteressen habe, so als Frau, sollte ich darüber nachdenken, ob ich wirklich auch Kinder haben will. Das geht nicht zusammen, meinen sie.

Andere wieder sagen, Deutschland (wahlweise: die westliche Welt) stirbt aus, weil die Frauen keine Kinder mehr kriegen (wollen). Sie würden schon wollen, denke ich, machte man es ihnen nicht so verdammt schwer.

Ich selbst, erinnere ich mich, tat um des beruflichen Fortkommens Willen Dinge, die ich heute zutiefst bereue, obwohl sie keine wirklichen Schäden beim Nachwuchs hinterließen.

Und dann lese ich in den Medien, wie man über Frau Spiegel urteilt.

Es sei dahin gestellt, ob und wie kompetent sie gewesen und wie richtig ihr Rücktritt war. Für mich jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Häme, mit der man die Unmöglichkeit des Zusammengehens von politischer Karriere und Familie für eine Frau kommentierte, nicht nur unzeitgemäß, sondern auch erschreckend war.

Nicht zu Unrecht wurde in den Medien gefragt, ob man einem Mann die gleichen falschen Entscheidungen genauso angelastet hätte. Oder hätte er sie einfach nicht getroffen, weil daheim weibliches Personal sich um die Kinder kümmert und nach der Frau schaut?

Gar nicht zu reden davon, dass die (männlichen) Politiker der Neuzeit insgesamt beileibe nicht mehr so schnell zurück treten, seien ihre Vergehen so schwerwiegend auch immer.

Wider all anderslautenden Töne, meine ich, liegt noch ein längerer Weg vor uns als wir glauben.

Was wäre wenn …

… ich tatsächlich anfinge, auf dem Kopf zu stehen?

Also ( machen wir uns nichts vor!), mir war das früher als sehr junger Mensch schon suspekt. Hätte der liebe Gott (oder wer auch immer) gewollt, dass wir Kopf stehen, hätte er uns am Kopf mindestens Füße installiert.

Außerdem finde ich es höchst befremdlich, die Dinge auf eine Weise zu sehen, die mein Gehirn in Verwirrung bringt. Das nämlich, mein Gehirn, ist ziemlich starrsinnig, wenn es um Perspektiven und Horizonte geht. Im Gegensatz zu Fliegen beispielsweise, die recht gut damit klar kommen, an der Decke zu sitzen. Wenn man sie verjagen oder auch totklatschen möchte, reagieren sie genauso zuverlässig wie in der Ebene. Also dem, was ICH Ebene nenne. Ich weiß nicht, ob ich so fit wäre, wahrscheinlich nicht.

Trotz alledem war ich tief beeindruckt, meine um einiges ältere Schwester an einem dieser Besuchsmorgende (heißt das so?) mit ihrer Gymnastikmatte abziehen zu sehen. Ich weiß nicht so genau, WAS genau sie da getan hatte, aber sie HATTE etwas getan, was doch so viel mehr war als ich von mir behaupten kann.

Dieser Tage, wo ich sanft vom Resturlaub ins Rentnerdasein hinübergleite, habe ich so diesen und jenen Vorsatz, wohl wissend, dass ich eine träge Fliege bin unter all den regen Insekten. Sofern mich keiner jagt (womit in meiner Wohnung nicht zu rechnen ist), kann es sehr wohl sein, dass ich den Tag mit weniger als schlenkernden Armen verbringe. Irgendwie ist das Wetter ja auch immer falsch. Mal zu warm und mal zu kalt und mal zu …

Das Homeoffice in den zwei Jahren vorher hat meine Aktivität nun auch nicht gerade befördert.

Nicht, dass ich nicht gearbeitet hätte. Da im Gegenteil habe ich mich gewundert, wie andere Leute Schränke und sonstwas aufräumen konnten, wo sie doch ihrem Arbeitgeber etwas schuldeten (diese Dinge werde ich erst jetzt in Angriff nehmen), aber meine Bekleidungsgewohnheiten änderten sich auf eine Weise, die mich angesichts der letzthin aufkommenden diversen Feierlichkeiten glauben ließen, ich hätte ja gar nichts anzuziehen. Was natürlich nicht stimmte. Nur waren diese Normal- und Feinkleider irgendwo ganz hinten in den Fächern versackt, weil ich sie eben zwei Jahre lang nicht gebraucht hatte. Und, mal ehrlich, nachdem ich sie gefunden hatte … sie fühlten sich nicht sonderlich angenehm an.

Nie hätte ich gedacht, dass Jogginghosen mal meine Freunde sein könnten. Aber inzwischen sind sie es und ich besitze derer einige. Ohne sonderliche Scham im übrigen. Wie ich ja sowieso denke (und als Rentnerin in spé darf ich das), dass ich ab nun rumlaufen kann wie ich mag.

Was mich übrigens nicht daran hindert, einiges an schönen Textilideen zu haben.

Früher, vor dem Einschlafen, träumte ich von Bildern. Jetzt hingegen träume ich (wie schon einmal vor ein paar Jahrzehnten) von Kleiderschnitten der wildesten Art. Was mich tatsächlich beschäftigt. Denn Schneidern ist nicht allein ein Handwerk (wie so vieles andere), sondern auch ein logistisches Problem: Wann genau tut frau WAS, damit am Ende alles irgendwie richtig und cool ist? (In Wahrheit ist es bei der Malerei und vermutlich aller anderen Kreativität genauso.)

Das Rentnerdasein, konstatiere ich, findet also zuerst im Kopf statt. Wann tue ich was wie?

Und vielleicht (auch wenn ich nicht so genau weiß, was denn nun eigentlich meine Schwester auf dieser Matte getan hat oder noch tut) werde ich doch eines Morgens auf dem Kopf stehen. Obwohl es unnatürlich ist und sich komisch anfühlt. Einfach nur, um zu probieren, WIE es sich anfühlt.