Grüne Tomaten

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen ich meinen Balkon reichlich mit Nutzpflanzen bestückte, habe ich in diesem Jahr „abgespeckt“. All diese Tomaten, Gurken, Paprika usf. schienen mir mehr Aufwand zu machen, als es der Ertrag schließlich rechtfertigte.. Nur die Jahre alten Erdbeeren waren da und taten, was sie jedes Jahr tun: Sie blühen und irgendwann schoben sich aus den Blüten grüne Miniärsche, die sich ein paar Tage später als Erdbeeren entpuppten. Und die Rosen natürlich, deren zweite Blüte gerade durch ist. Vielleicht kommt da noch eine dritte.

Wirklich erstaunt hat mich das Hochbeet, das nach wenig erfolgreichem Warten auf blühende Freesjien, deren Zwiebeln ich schließlich in der Hoffnung auf das nächste Jahr einsammelte, verwaist stand. Denn irgendwann schob sich da etwas Grünes heraus, das ich schnell deuten konnte. Offenbar war von den ( nach meiner Ansicht) sorgfältig entfernten Tomaten irgendein Wurzelrest stehen geblieben und drängte nun nach draußen. Ein wenig zu spät im Jahr. Und dennoch brachte ich es nicht fertig, da etwas „weg zu machen“. Wer so lebensvoll ist, meine ich, hat eine Chance verdient. Immer und überall. Und sowieso hatte ich mit dem Hochbeet gerade nichts anderes vor.

Inzwischen ist die Tomate veritabel gewachsen. Und trägt sogar kleine Früchtchen, von denen ich freilich nicht weiß, ob sie noch wirklich reif werden. Aber wer sooo kämpft ums Überleben …

Alle Kämpfer, denke ich, sollten eine Chance bekommen.

Wie die kleine Birke, die sich von gegenüber auf meinen Balkon geschlichen hatte. Schon vor ein paar Jahren. 

Erst wusste ich nicht, was da in meinem Balkonkasten wuchs. Als sie aber das erste Blatt entfaltete, war alles klar. Sie bekam einen eigenen Topf und wuchs weiter, vertrocknete zwischendurch, wurde wieder lebendig. 

So eine Birke ist ein zartes Ding. Eigentlich immer, aber am Anfang ganz besonders. Umso erstaunlicher, wie beharrlich es doch wächst. Die Eltern gegenüber sind im Laufe der Jahre gestorben. Zu viel Trockenheit. Aber diese hier wird weiter leben.

Inzwischen habe ich sie ausgewildert, weil mein reiner Sonnenbalkon nicht gut für sie ist. Aber in Tochterkind hat sie eine gute Beschützerin gefunden.

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In diesen Weltall-Dokus, die ich so gerne sehe, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sonne in so ca. 5 Milliarden Jahren stirbt und wir bis dahin eine neue Heimat gefunden haben müssen. Ich muss dann immer lächeln. Wie könnte einer glauben, dass es uns in 5 Milliarden Jahren noch gibt? Ich gebe uns allerhöchstens 1000 Jahre, so wie wir strukturiert sind. Eher weniger. Aber wenn wir nicht mehr da sind, aus welchen Gründen auch immer, werden immer noch Birken wachsen und Tomaten und Erdbeeren und …

Alles, was Odem hat …

.. lobe den Herrn.

Der Dirigent sagt zu seinem Chor, sie sollen nicht einfach singen, sondern sie sollen IHN, den Herrn, an-singen.

Später, im Interview, wird er sagen, es glaubten ja vielleicht nicht alle an Gott. Aber an irgendwas glaube doch jeder.

Wohl wahr, bestätige ich im Geist. Und ich weiss, dass ich diese Musik, der so viel Inbrunst anempfohlen ist, hören muss.

Schon bei den ersten Tönen erkenne ich, dass dies keine Musik für eben mal so reinhören ist. Dazu braucht es eine Kirchenkuppel. Und da ich die nicht hier hab, einen offenen Himmel.

Ich gehe also raus auf den Balkon, schalte den Player wieder ein.

Und die Musik bricht über mich herein. Unter dem Mond mit leichten Wolkenschleiern und ein paar Sternen die Weinpflanze, die nach Jahren vergeblicher Pflege nun tatsächlich wieder zu wachsen beginnt. Von der Shisha-Bar unten ziehen bunte Düfte herauf. Hinter den Hügeln ein Wetterleuchten.

So höre ich den Chor. Zum Lobpreis des Herrn, an den ich nicht glaube, was nichts an meiner tiefen Bewegtheit ändert. Alles, was Odem hat …

Ich atme tief. Irgendetwas da drin empfängt das, was ich höre, mit einer solchen Macht, dass ich nicht ruhig bleiben kann.

Nach dem dritten Anhören stehe ich auf. Fast sind der Gefühle zu viel.

Unten, vor dem Brunnen, sitzt ein Paar, älter schon, in solcher tiefen Innigkeit, dass ich einen Moment lang verharre. ER spürt, dass er angesehen wird, schaut nach oben. Ich lächle und nicke einen Abendgruß.

Alles Scheiße!

Hakle, unser freundlicher Toipa-Hersteller seit fast hundert Jahren, ist pleite.

Aber nein! Heute heißt das ja Insolvenz und ist so schlimm dann offenbar doch nicht, wenn die Produktion im „Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung“ weitergeht und die Gehälter der 220 Mitarbeiter durch das Insolvenzgeld der Arbeitsagentur gesichert sind.

Hakle begründet die Zahlungsunfähigkeit mit den stark gestiegenen Energie- und Transportkosten, wie so viele Unternehmen derzeit auch. Man habe diese Mehrkosten nicht im gewünschten Maße an die Verbraucher weitergeben können.

Wäre es nicht Hakle, könnte man die Erklärung so stehen lassen.

Aber: War da nicht im Jahr eins von Corona eine Zeit, in der Toilettenpapier-Hersteller, auch Hakle mit seinem schon immer hochpreisigen Sortiment, massiv von der Vorsorge der Verbraucher profitiert hatten?

Im Jahr 2020 hatte Hakle 80 Millionen Euro Umsatz und überstieg mit immerhin 650 000 Euro seine Gewinnerwartungen. Man darf sich fragen, wohin das Geld so schnell verschwunden ist.

Schließlich lernte ich schon von meiner Oma: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“

So viel immerhin dürfte den Unternehmensführern damals schon klar gewesen sein: Die Anzahl der Menschen im Land ist nicht so rasant gestiegen; das gehamsterte Toipa wird in den Monaten nach den Rekordumsätzen erst einmal aufgebraucht werden, ehe man neues einkauft. Und auch: Sobald wieder günstigere Sorten zur Verfügung stehen, werden die Verbraucher wieder auf diese zurück greifen.

Sprich: Die Rekordumsätze des Jahres 2020 waren nur geborgt und nicht auf Dauer. Hat sich da eventuell jemand verkalkuliert und einen andauernden Verbrauchsanstieg einbilanziert, der jeglicher früherer Erfahrung widerspricht?

Zuweilen, will mir scheinen, lassen Unternehmen in ihrer Planung stetig steigender Umsätze die einfachsten Erwägungen beiseite. Oder hat hier jemand gehofft, dass ein Unternehmen, welches Erzeugnisse herstellt, die im Krisenfall zuerst aus den Regalen verschwinden, zwar keines von den umsatzstärksten und auch keines von denen mit den meisten Arbeitsplätzen, aber dennoch “ Too Big to Fail“ ist?

Das Böse im Menschen

Angesichts eines Blogs über Zustände in „Heimen für schwer Erziehbare“ im letzten Jahrhundert ging mir einiges durch den Kopf.

Erstaunlich fand ich, dass es offenbar eine Neigung gibt, solche zweifellos unbestreitbaren Zustände (inzwischen gab es ja genug Berichte darüber) in der eigenen Umgebung in Zweifel zu ziehen. In diesem Fall versteifte man sich darauf, dass es so etwas wohl „nur im Osten gegeben habe“. Was nicht falsch, aber eben nicht allein richtig ist. Es gab diese Dinge ÜBERALL.

Noch viel erstaunlicher aber ist, dass sich dermaleinst Menschen entschieden hatten, mit Kindern zu arbeiten. Woraus man doch folgern müsse, dass sie Kinder vielleicht doch irgendwann einmal gemocht haben müssen. Und zwar nicht auf diese unschickliche Weise, sondern wirklich und wahrhaftig und aus tiefster Seele. Was war mit denen geschehen?

Und dann fielen mir in zunehmendem Maße Menschen ein, die sich einst für eine Sache eingesetzt und sie im Laufe der Zeit in ihr grobes Gegenteil verkehrt hatten.

Lehrer, die sehr zynische Vorstellungen über Kinder (aber mehr noch: deren Eltern) entwickelt hatten.

Menschenrechtsanwälte, die – wenn schon nicht rassistische, so doch – zweiflerische Gedanken hinsichtlich des Asylrechts etc. ausbildeten.

Ärzte, die schon ihr ganzes Leben lang hatten den Menschen helfen wollen und auf ihre alten Tage nurmehr monetäre Interessen am Patienten hegten.

Entwicklungshelfer, die die Vorbehalte aller ehemaligen Kolonialherren über die Einheimischen der von ihnen unterstützten Länder bestätigten.

Undundund …

Sie alle (ok., die meisten) waren in ihren Berufen angetreten mit dem Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie alle hatten zweifellos eine ganze Zeit lang nach ihren hehren Vorstellungen gelebt. Und doch waren dann eine Reihe von ihnen irgendwann an der Realität ihrer Berufe gescheitert.

Vielleicht hatten sie zu idealistische Vorstellungen gehabt, vom „süßen“ Kind, vom „edlen“ Wilden, vom unschuldig Verfolgten …?

Vielleicht aber reichten schon ein paar wenige Enttäuschungen aus, um den Rest derer, die ihre Zuwendung und Hilfe wirklich und wahrhaftig verdienten und brauchten, auszublenden?

Was oder wie viel von dem braucht es im Leben, um den Idealismus des Menschen abzutöten, ihn in sein Gegenteil zu verkehren, das Böse (das zweifellos in uns allen steckt) heraus zu holen?