Als ich 15 war, hatte ich eine ganz neue Freundin, die in unserer Klasse ihre „Ehrenrunde“ drehte. Sie war nicht dumm, im Gegenteil, kam aber aus schwierigen Verhältnissen, was sich u.a. darin zeigte, dass sie im Alter von 16 Jahren mit einem doppelt so alten Mann zusammen lebte, ohne dass ihre Familie dies angefochten hätte.
Ich denke, sie wurde vielmehr von diesem Mann, der aus heutiger Sicht eher positiv auf sie wirkte, in vielerlei Hinsicht inspiriert, halt bloß nicht in Sachen Schule. Sie liebte Hölderlin, von dem ich bis dahin nie etwas gehört hatte, und hörte auch Musik, die ich bis dahin nicht kannte. Musik, die sie wahrscheinlich von ihm kannte, denn unsere Jahrgänge hatten das nicht mehr erlebt.
So lernte ich Jannis Joplin kennen.
Wir hörten sie in dieser Wohnung, die sie mit ihrem Gefährten bewohnte, und die – aus heutiger Sicht- sehr etwas von einer dieser Wohnungen hatte, die man gemeinhin mit Drogensüchtigen in Zusammenhang bringt. Da lag eine Matratze auf dem Boden und war auch sonst nicht viel Mobiliar. Sie erklärte, dass die Wohnung im Umbau sei und deswegen alles so aussah, wie es aussah. Halt bloß, dass ich im Laufe der Zeit kaum eine Veränderung im Sinne eines Fortschritts sah.
Ich selbst wohnte nahe der Schule. Und manchmal schwänzten wir ein oder zwei Stunden, gingen zu mir und nutzten die Zeit für ein Bad. Denn im Gegensatz zu ihr hatten wir eines. Während sie in der Wanne saß, saß ich daneben auf dem Klo und staunte, wie entwickelt sie doch war. Im Gegensatz zu mir, die ich alles an mir noch kindlich fand. Und währenddessen redete sie von all diesen Dingen, die meinen damaligen Horizont weit überstiegen.
Nachdem wir die Schule abgeschlossen hatten, traf ich sie nicht wieder.
Einmal noch hatte ich mit ihr zu tun. Das war uns beiden peinlich, weil – so wurde mir klar – wir nicht wirklich Freundinnen gewesen waren. Sie hatte sich immer nur durchgeschlagen, durchschlagen müssen. Sie hatten inzwischen diesen Mann geheiratet, eine Ausbildung als Fotografin begonnen und ich brauchte Passbilder. Vermutlich war es ihr peinlich, dass aus ihren hochfahrenden Träumen nichts geworden war. Den ganzen Tag Passbilder machen deckte sich so gar nicht mir ihren künstlerischen Ambitionen. Auch war sie fett geworden, was ihrem durchaus harmonischen Aussehen abträglich war. Später hörte ich noch, sie sei geschieden. Was damals nichts Besonderes war. Irgendwann, wenn wir sehr jung geheiratet haben, erkennen wir, dass da noch mehr geht.
Wer weiß, vielleicht hat sie ihren Ambitionen doch noch irgendwie folgen können? Ich würde es ihr wünschen.
Aber Jannis Joplin, die ich immer mit diesen keineswegs nur negativen Erinnerungen in Zusammenhang brachte, wurde mir von dieser neuen Dior-Werbung kaputt gemacht. Ich mag Natalie Portman, aber nicht zwei Mal in der Stunde. Und dass ihre Dior-Werbung Jannis Joplin zitiert, hasse ich.
Aber ich habe mich erinnert.