Generationen

… sind ja neuerdings stark im Gespräch.

Als da wären …

… die letzte, was nicht gleichbedeutend ist mit „das Letzte“. Die machen sich Sorgen um das Klima, die Umwelt usf. Die Mittel und Wege, mit denen sie sich bemühen, ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, mögen umstritten sein und vielleicht sogar falsch. Aber sie machen sich Gedanken, was dann immerhin so viel mehr ist als es jene tun, die auf div. Plattformen sich nur um ihr Äußeres scheren.

Und dann ist da die Generation Z, die sich – auch, aber nicht nur – um ihr Äußeres, aber auch um ihr weiteres Leben schert. Mehrere ihrer Vertreter äußerten sich letzthin in tragischer Weise um ihre Zukunftsaussichten. Womit sie nicht Klima und Umwelt meinten, sondern sich höchstselbst, indem sie – zuweilen bitterlich und mit strömenden Tränen – beklagten, dass das Erwachsenenleben doch eigentlich unannehmbar sei.

Inzwischen mehrere Tiktoker weinten publikumswirksam vor ihrer Webcam, dass es doch eine Unverschämtheit sei, sie, die sie doch ein Abitur und Studium bravourös absolviert hätten, nun, im Berufsleben angekommen, tatsächlich so schwer arbeiten zu lassen. Acht Stunden am Tag und dies fünf Tage die Woche. Das alles mit NUR 30 Tagen (=6 Wochen) Urlaub im Jahr.

Ich hatte früher schon geahnt, dass neuere Generationen den erfolgreichen Abschluss als Lebensleistung betrachten würden, während wir (doofen?) Babyboomer doch seinerzeit geglaubt hatten, jedwede Abschlüsse seien lediglich der Anfang von irgend etwas Großem, das jederzeit ausbaufähig ist.

Während Psychologen etc. rechtfertigend berichten, dass es „gut“ sei, wenn die heutigen Berufseinsteiger (gerechtfertigte) Ansprüche hinsichtlich Gehalt und 4-Tage-Woche stellen, sagen wieder andere der gleichen Berufsgruppe, dass Eltern etc. verabsäumt hätten, ihre Kinder mit einer Resilienz auszustatten, die ihnen ermöglichen würde, harte Zeiten im Leben durchzustehen.

Tatsache ist, dass es (zu) viele Absolventen von irgendwas gibt, die sich erstaunt dem Umstand gegenüber gestellt sehen, dass es nicht reicht (womöglich eher schädlich ist), eine Bewerbung mit Binnen-I zu senden, ohne hinreichend Erfahrungen in irgendwas nachweisen zu können. Denn, Mist aber auch!, ein Studium ist gar nichts ohne Erfahrungen. Das haben mittlerweile (zu) viele.

Währenddessen sucht man in der Gesellschaft krampfhaft nach Handwerkern, die die Heizung oder was auch immer erneuern oder wenigstens reparieren können.

In all den Jahren und Generationen, in denen Eltern alle Kräfte zusammen nahmen, damit es ihren Kindern „mal besser gehen soll“ als ihnen selbst (Ging es ihnen wirklich schlecht?), zogen sie Kinder heran, die am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet wurden. Die Kinder waren in Teilen nicht glücklich, weil nicht jeder, dessen Eltern ihnen eine akademische Laufbahn vorsah, dazu bestimmt war. Und der Arbeitsmarkt wurde bei den „normalen“ Berufen immer magerer.

So kommt es, dass jetzt anstelle der Meister und Ingenieure, die einstens als „Fachkräfte“ bezeichnet wurden, Fachkräfte nunmehr HANDWERKER sind. Die es nicht mehr gibt, weil Mama und Papa dem Kind ein Abitur und möglichst ein Studium wünschten. Beamtenlaufbahn inklusive. Sicherheit bis ans Lebensende, egal, wieviel Leistung da herüberwächst. Gar nicht zu reden von diesen wahnsinnig langen Tagen, die es so einem jungen Menschen nicht einmal mehr ermöglichen, ein normales Sozialleben mit Freunden, Partys etc. zu führen, weil man am Ende eines solchen Tages doch so fürchterlich erschöpft sei.

Die einen Psychologen sagen, dies hätten auch frühere Generationen so empfunden. Und, ja, (ich erinnere mich), tatsächlich bin auch ich eine Zeit lang zusammen mit meiner Tochter zu Bett gegangen, weil so ein Arbeitstag anstrengend war, aber ich hatte eben auch diese Tochter, die ich morgens weg bringen und abends abholen musste. Und da waren auch noch die Öfen (im Winter), die ständig im Gang gehalten werden mussten.

Aber ich erinnere mich nicht, dass ich damals das Bedürfnis hatte, Jederman zu erzählen, wie anstrengend das (Erwachsenen-)Leben doch war. Weil ich mich geschämt hätte zuzugeben, dass ich womöglich unter dem normalen Alltag mehr litt als all die vielen Anderen, denen es ganz genauso ging.

Heute hingegen, wo jeder vollkommen unreflektiert seine Befindlichkeiten via Internet an die Öffentlichkeit bringen kann, scheint Scham über die eigene Schwäche (berechtigt oder nicht) vollkommen unmodern geworden. An allem, was missbehagt, sind alle mögliche Anderen, nicht jedoch man selber Schuld.

Und jetzt, liebe Groß- und Urgroßeltern berichtet, dass es bei euren Nachfahren ja so vollkommen anders läuft. Und – bitte! – erklärt auch, wie ihr das gemacht habt. 😉

Schlaflos im Odenwald

Wie oft hören wir, in Filmen und im wahren Leben, dass Verantwortliche gegenüber (übereifrigen) Unbeteiligten äußern, man solle das doch lieber die Fachleute machen lassen. Bei Handwerkern mag das, mit Ausnahmen, wohl stimmen. Hier aber ist die Rede von Ämtern und staatlichen Institutionen, die in einem der größten Rechtsskandale der letzten Jahre beispielhaft unfähig reagiert haben. Und zwar an allen Fronten.

Die Rede ist von Lügde. Und wem das nichts sagt, dem mögen die Stichworte „Kinder“ und „Campingplatz“ etwas sagen.

Der Fall wurde jetzt dokumentarisch aufgearbeitet und gestern mit dem Blauen Panther (vormals Bayrischer Fernsehpreis) in der Kategorie „Information und Journalismus“ ausgezeichnet. Die vierteilige Dokumentation, in die ich eigentlich nur hatte hineinsehen wollen, raubte mir letzte Nacht nachhaltig den Schlaf. Weil die Aneinanderreihung von Versagen der verschiedensten Behörden, die zu Beginn trotz alarmierender Anzeichen lange Zeit vollkommen tatenlos blieben und sich in Zuständigkeitsgerangel verhedderten, so unglaublich ist, dass man weiterschaut in der Hoffnung, es möge sich doch noch zum Guten wenden.

Im Resultat bleiben:

1000 Einzeltaten sexuellem Missbrauchs an Kindern zwischen 4 und 13 Jahren

40 bekannte Opfer

10 Jahre des Missbrauchs an verschiedenen Kindern im überschaubaren Rahmen eines Campingplatzes

unfassbare Kulanz der Behörden gegenüber dem Verdacht des Kindesmissbrauches bis hin zur Übertragung der Pflegschaft über eines der Kinder an den Hauptverdächtigen durch das Jugendamt und weitere Institutionen

Androhung rechtlicher Konsequenzen wegen evtl. „Falschbeschuldigung“ an einen besorgten Vater, der bei der Polizei vorsprach

konsequenzlose Erfassung von Anzeigen in einer Liste (Es wurden weder reguläre Anzeigen erfasst, noch Ermittlungen eingeleitet.)

fehlende Zusammenarbeit der Jugendämter, die länderübergreifend (NRW,NS) hätte erfolgen müssen, mit dem Resultat, dass sich kein Jugendamt kümmerte (Eine Mitarbeiterin des Jobcenters, die bei der Vorsprache des Hauptverdächtigen mit Kind Besorgnis erregende Feststellungen machte und die beiden zuständigen Jugendämter kontaktierte, wurde mehrfach im Pingpongverfahren an den jeweils Anderen verwiesen.)

Jugendamtsmitarbeiter, denen Akten „abhanden kamen“ oder deren Akten nachträglich geändert wurden

Jugendamtsmitarbeiter, die von ihrem Aussageverweigerungsrecht (nach „Verlust“ der Akten) Gebrauch machten

die Inobhutnahme des Kindes ohne Beteiligung der Polizei, die erst Wochen später eine Verhaftung und Hausdurchsuchung beim Hauptverdächtigen vornahm, so dass dieser hinreichend Gelegenheit hatte, Beweismittel zu vernichten und selbst leicht hätte fliehen können

Beweismittel, die erst bei der zweiten Durchsuchung gefunden wurden

Beweismittel, die erst bei Abriss der Hütte des Hauptverdächtigen durch das Abrissunternehmen gefunden wurden (da waren bereits mehrere Kisten, die auch hätten Beweismaterial enthalten können, vernichtet worden)

Beweismittel, die einem Polizeianwärter (20) zur Sichtung überlassen und in der Folge aus dem Polizeigebäude „verschwunden“ sind, ohne dass ihr Verlust sogleich festgestellt wurde und hätte geklärt werden können (was den Verdacht nährte, es könne auch Beteiligte in Polizeikreisen geben)

Polizisten aus dem Bereich Cyber-Crime, die sich nicht zuständig fühlten, später aber einräumen mussten, dass Kindesmissbrauch mit dem Verkauf und Erwerb von Foto- und Filmaufnahmen i.d.R. über das Darknet in Bitcoin abgewickelt wird

All das, wohlgemerkt, nicht irgendwann in der Nachkriegszeit, sondern in den Jahren 2016 bis 2018.

Nicht zu vergessen den zugehörigen Innenminister, der von einem beispiellosen Polizeiversagen sprach, wiederholt, scheinbar ohne sich dessen bewusst zu sein, dass die Polizei in seine Verantwortung fällt. Er ist heute noch Innenminister.


Angesichts der allgemeinen Ignoranz und Untätigkeit muss es wohl als Erfolg angesehen werden, dass am Ende – nach zehn Jahren – überhaupt Ermittlungen eingeleitet wurden.

Die späteren Erklärungs- und/ oder Rechtsfertigungsversuche deuten auf ein systemisches Versagen hin.

https://de.wikipedia.org/wiki/Missbrauchsfall_L%C3%BCgde

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/die-kinder-von-luegde-alle-haben-weggesehen-100.html

Die Zeit – Nachschlag

Als meine Tochter klein war, wurde ich von einem Bekannten auf ein Bilderbuch aufmerksam gemacht, in dem die Relativitätstheorie kindgerecht erklärt wurde. Was an sich schon bemerkenswert ist, weil selbst die meisten Erwachsenen das nicht kapieren.

Das ging ungefähr so: Es war einmal ein nicht mehr junger Mann mit wallendem weißem Haar, der gerne Geige spielte. Der unterhielt sich gerne mit dem Nachbarskind. Und erklärte ihm, dass es darauf ankommt, mit welcher Geschwindigkeit man sich durch die Gegend bewegt. Während das Kind zu Fuß zum Kindergarten geht und dabei am Bäcker, dem Konsum und wasweißich vorbei kommt und alles ganz schön lange dauert, weil das Kind noch kurze Beine hat, setzt sich der Mann in den Bus und fährt viel, viel schneller die gleiche Strecke ab.

Wer so ein kleines bisschen Ahnung hat, weiß, worauf das hinaus läuft.

Was ich eigentlich sagen wollte (auch wenn das natürlich jeder weiß): Zeit ist relativ.

Wie ich darauf komme?

Naja: Der Kirchturmuhrenreparaturmeister (und ein Meister muss das schon sein; vermutlich können das nicht viele) ist offenbar gerade da. Offenbar muss er es so machen wie man es bei jedem stehen gebliebenen Wecker macht. Er muss den Zeiger drehen bis er auf der richtigen Stelle ist. Was bei Weckern vielleicht nicht sonderlich bemerkenswert ist, bei einer Kirchturmuhr aber schon auffällt, denn während des Drehens durchläuft diese Uhr alle Kirchturmklingelaktivitäten so eines Tages bis es eben wieder stimmt. Und so scheppert unser Kirchturm gerade eben, was das Zeug hält. Und weil anscheinend die Uhr (meine Leser erinnern sich vielleicht) um dreiviertel zwei nachmittags stehenblieb, kann es schon ein Momentchen dauern, ehe der Kirchturmuhrenreparaturmeister bei kurz vor zehn vormittags angekommen ist. Denn so eine Kirchturmuhr dreht sich nicht so schnell wie ein Wecker. Vermutlich muss der Kirchturm… (Sie wissen schon) bei jedem Ereignisklingeln kurz innehalten, damit die Uhr nicht gleich wieder kaputtgeht.

Und so ist es relativ, ob man einen Wecker oder eine Kirchturmuhr „stellt“.

In diesem Sinne wünsche ich, dass der Tag für euch lange dauert, wenn er schön ist, und schnell vorbei geht, wenn eben gerade mal nicht.

Bettina

Lange habe ich nicht mehr an sie gedacht, war mir nicht einmal sicher, ob sie noch lebt. Das tut sie, aber sie wäre keine von denen gewesen, um deren Ableben man ein sonderlich großes Bohei gemacht hätte.

Die meisten kennen von ihr, wenn überhaupt nur dieses eine Lied.

„Sind so kleine Hände …“

Das habe sie, erklärt sie im Interview, sehr lange Zeit nicht in Konzerten gesungen, obwohl die Leute es immer erwarteten. Sie habe doch so viele andere Lieder gemacht, die auch wichtig wären. Sie habe doch so vieles andere noch zu sagen gehabt. Der Auftritt zusammen mit Joan Baez auf der Waldbühne, mit der zusammen sie dieses Lied gesungen habe und die es auch international bekannt machte, habe sie jedoch weniger beeindruckt als die kleinen Räume, in denen man die Reaktion der Zuschauer sehen kann. Die 20 000 seien hinterher nach Hause gegangen. Sie selbst habe ihre Knete eingestrichen. Und es sei eben „ein Job“ gewesen.

Erst als ihr inzwischen halb erwachsener Sohn die LP einer Punkband mitbrachte, die sangen

„Sind so kleine Biere …“

nahm sie es wieder in ihr Programm auf.

Sie habe das lustig gefunden. Und überhaupt möge sie Punk. Das seien nicht die einzigen gewesen, die ihr Lied „gebrauchen“ konnten. Eine andere Version, die irgendwie mit „reinem Blut“ endete, habe sie vor Gericht angefochten und obsiegt. DIE durften ihr Lied dann nicht mehr spielen.

Hört man diese Dinge, macht es den Anschein, als habe sie sich in den Jahrzehnten nicht wesentlich verändert. Die Bettina, die mit 21 vor Gericht ganz ehrlich, fast möchte man „naiv“ sagen, Auskunft darüber gibt, warum sie die Flugblätter gegen den Einmarsch beim „Prager Frühling“ verfasst und verteilt und warum sie es heimlich im Dunkel der Nacht getan habe, scheint die Gleiche, die mit über Siebzig erzählt, was alles und warum in ihrem Leben so passiert ist.

Begleitet von allerlei Bild- und Filmmaterial und Konzertmitschnitten aus allen Zeiten vermittelt die Doku „Bettina“ einen authentischen Eindruck von ihr und der Zeit. Darüber, was viele in dieser Zeit dachten und fühlten.

Sehr sehenswert!

https://www.bpb.de/mediathek/video/516001/bettina/

Am 4.November wird sie 76.

Die Zeit

Seit drei Tagen ist die Kirchturmuhr kaputt. Was eine Unverschämtheit ist, denn ihr (nicht nur ihr, aber hauptsächlich) habe ich es zu verdanken, dass ich seit Jahrzehnten keine Armbanduhr mehr trage. Man sieht sie, mindestens hier in der Stadtmitte, von fast überall aus. Und von meinem Küchenbalkon aus ist die Sicht auf sie quasi exklusiv.

Aber seit drei Tagen schaue ich auf dieses ewige Dreiviertel Zwei (für die Unverständigen: Viertel vor Zwei), das ja immerhin zwei Mal am Tag stimmt, aber meistens eben nicht.

Ich bin total desorientiert, denn keine Uhr ist wichtiger als diese.

Natürlich sind da noch die Schuluhr, die nach dem Brand des Dachgeschosses und Wiederaufbau geradezu penetrant in die Nacht hinaus leuchtet, und die Schlossuhr, die man aber nur bei höchster Verrenkung und nicht in der Nacht sehen kann. Jedoch sind beide auf der falschen Seite. Man muss hinaus gehen auf den (anderen) Balkon, was eben nicht dasselbe ist.

Die ganz Ausgefuchsten werden sich jetzt fragen: Ja, hat die denn keine Uhr in ihrer Wohnung?

Und, ja natürlich, habe ich da Uhren. Die am Telefon kann ich ohne Brille nicht erkennen. Der Wecker steht im Schlafzimmer Richtung Bett. Und auf der Waschmaschine steht eine, sogar ein Funkwecker, der sich bei der Zeitumstellung selbst umstellt, was ausnehmend praktisch und verlässlich ist. Aber den sehe ich am Besten vom Klo aus, was zu Zeiten, in denen ich noch arbeiten ging, zwar günstig war, jetzt aber irgendwie komisch: Ich gehe doch nicht aufs Klo, um zu wissen, wie spät es ist. Also ganz bestimmt nicht nur deswegen.

Übrigens finde ich es sehr merkwürdig, dass die Kirchturmuhr nicht geht (das schließt das Dauergebimmel um elf, um zwölf und nachmittags um sechs ein), die Lieder alle zwei geraden Stunden um sechs Minuten nach halb aber immer noch funktionieren. Ich meine, auf die könnte ich doch eher verzichten als auf die Uhrzeit.

Im Sommer fällt mir die zeitliche Orientierung auch ohne Uhr nicht schwer. Der Sonnenstand sagt einiges aus und meine Schätzungen stimmen häufig ganz gut. Aber jetzt, wo die Sonne immer früher untergeht, kann ich so schnell nicht mithalten. Und häufig sieht man die Sonne gar nicht. Wegen der Wolken, des Nebels oder was auch immer, was nicht nur deprimierend, sondern auch desorientierend ist. Heute zum Beispiel war es nachmittags um vier schon so dämmrig, dass ich das Licht anmachen musste. Wie spät ist es an so einem Tag? Ist das überhaupt Tag?

Die paar anderen Methoden der Orientierung helfen da nur bedingt: Eben auf dem Balkon stellte ich fest, dass jedes zweite Straßenlicht bereits ausgeschaltet war. Das machen die viertel elf (Viertel nach zehn) und dann sah ich den Zug kommen, was Viertel vor … der Fall ist, also dreiviertel elf.

Ich glaubte, mich darauf verlassen zu können, dass es nicht später sein kann, weil die Kirchenbeleuchtung noch an ist. Die wird viertel zwölf (Viertel nach elf) abgeschaltet. Und nun merke ich, dass die offenbar an die (nicht funktionierende) Uhr gekoppelt ist. Denn sie leuchtet noch immer.

Alles gar nicht so einfach.

Aber … solange der PC noch an ist und ich die Brille auf habe, sehe ich ja auch hier, wie spät es ist.

Ich mach jetzt gleich aus.

Aber neben dem Bett steht ja der Wecker.

Um den Finger gewickelt (2)

Ich kann dich gerade nicht wirklich leiden.

Böse Katze.

Dass der Balkonkasten vom ständigen Herüberspringen zerborsten ist – geschenkt. Ich machte mir nur Gedanken darüber, dass du dich verletzt, wenn du ungünstig landest. Also hatte ich ihn abgehängt. Dass du aber mein Hochbeet verwüstest und meinen und den Balkon der unten liegenden Nachbarn eingesaut hast, nehme ich übel. Ebenso, dass vom Sanddorn ein wichtiger Zweig von dir abgebrochen wurde. Ich weiß, das kannst du anders, wolltest aber wohl nicht.

Dabei, ehrlich gesagt, hatte ich dich schon vermisst. Der Thunfisch blieb lange unberührt. Erst am Morgen scheinst du ihn geschlemmt zu haben, was mich annehmen lässt, dass deine Heimatmenschen dich (endlich!) mit hinein genommen hatten. Was ja eher gut ist.

Aber (um das mal klar zu stellen): Wenn du auf die sauer bist, lass es nicht an mir aus.

Immerhin bist du heute Abend wieder aufgetaucht. Ein bisschen komme ich mir vor wie der kleine Prinz mit dem Fuchs. Als ich an die Balkontür trat, hattest du gar keine Angst. Nicht einmal, als ich sie öffnete. Du beobachtetest gut wach, was da vor sich geht, bist auch ein wenig zurück gewichen, aber behieltest mich im Auge. Das war vor ein paar Tagen noch ganz anders. Sobald du die Balkontür hörtest, warst du verschwunden.

Heute sah ich das erste Mal, wie du von hier nach drüben gehüpft bis und muss schon sagen: „Chapeau! Sehr elegant!“

Drei Minuten später warst du wieder da. Und tatest da in meinem Hochbeet so, als wäre ich dir vollkommen wurscht. Was natürlich nicht stimmt. Einen gewissen Mindestabstand möchtest du schon eingehalten wissen.

Und dann setzte ich mich auf den Balkon, ganz am anderen Ende und tat so, als würdest du mich nicht interessieren, als du wieder bei mir gelandet bist. Natürlich hast du mich bemerkt, bist aber nicht weg gegangen, sondern behieltest mich, die ich irgendwohin, aber nicht zu dir sah, genau im Auge. Nicht einmal, als ich – beinahe zufällig – so ein, zwei, auch drei Meter auf dich zuging (Ich sah währenddessen nach unten und interessierte mich noch immer nicht für dich.), wurdest du unruhig.

Der vierte Meter war dann zu viel und gab mir die Chance, ein weiteres Mal deinen eleganten Absprung zu beobachten.

Ich mag Katzen immer noch nicht, finde ihren Eigensinn aber schon recht interessant. Wenn du aufhörst mit diesen Schweinigeleien mit meinen Pflanzen könnten wir noch Freunde werden. Aber bild´ dir bloß nicht ein, dass du alles darfst, weil Katzen so süß sind. Nicht mit mir.

Um den Finger gewickelt!

oder: Ich habe nichts gemacht!

Ich bin kein Katzenmensch. Das erst mal vorab.

Katzen sind eigensinnig. Das bin ich auch. Was also soll das sein: Ich und ein Katze?

Und sowieso sind hier keine Haustiere erlaubt.

Allerdings weiß das die Katze nicht.

Als wir uns das erste Mal sahen, erschraken wir beide. Die Katze, die im Nachbarhaus wohnt, hatte sich offenbar gelangweilt. Es macht den Eindruck, dass sie tatsächlich nur auf dem Balkon der Nachbarn gehalten wird. Der nicht sonderlich groß ist. Nicht so groß wie meiner. Irgendwann stellte sie fest, dass sie zu mir herüber springen kann. Was aus meiner Sicht nicht ungefährlich ist. Denn wir reden hier von einem zwar nebenstehenden, aber höhenversetzten Haus. Ein halber Meter Höhenunterschied und ebensoviel Abstand von ihrem bis zu meinem Balkongeländer.

Trotzdem saß sie irgendwann in meinem Hochbeet und sonnte sich.

Als ich aus meinem Fenster sah, um mich zu vergewissern, dass ich richtig sah, schaute sie mich erstaunt und auch ein wenig empört an: Was will die Frau auf meinem(!) Balkon.

Ich weiß, Katzen sind so.

Sie tat das so ein, zwei Tage lang. Und immer wenn ich die Balkontür öffnete, war sie flix verschwunden.

Um ihren nicht ungefährlichen Weg zu rekonstruieren, schaute ich mir alles genau an und stellte fest, dass sie offenbar über einen der Balkonkästen gelandet war. Der inzwischen Schaden genommen hatte. Was mich besorgte. Denn wenn Katze springt und dumm landet, dachte ich, kann sie sich an den Kanten des Risses verletzen.

Ich hängte also den Kasten ab und dachte gleichzeitig, dass das Problem gelöst sei.

Katzen allerdings haben das Problem, dass man sie leicht unterschätzt.

Am nächsten Tag war sie wieder da und hatte offenbar den Sprung auf mein sehr schmales Balkongeländer gewagt und geschafft. Als ich meine Balkontür öffnete, damit wir uns vertraut machen können, war sie verschwunden und saß bereits wieder auf ihrem eigenen Geländer. Sie schaute mich kurz an und wandte sich scheinbar desinteressiert ab, ehe sie auf ihren eigenen Balkon sprang.

Nun, da es kalt geworden ist, hatte ich geglaubt, dass ihre Frauchen/Herrchen (Katzen haben keine Besitzer; vielmehr nehmen sie in Besitz) sie nun doch mit nach drinnen genommen haben. Was nicht der Fall war. Denn als ich heute Abend an meiner Heizung werkelte, saß sie mir direkt gegenüber. Wir beide drücken unsere Nasen an die Scheibe. Was sie dachte, weiß ich nicht, obwohl sie auf mich einen recht kläglichen Eindruck machte. Im Gegensatz zu unseren früheren Begegnungen fauchte sie nicht einmal mehr.

Ich stellte, obwohl sie beim Öffnen der Balkontür wieder verschwand, einen Teller mit einem Happen Hähnchenbrust hinaus. Nur probehalber. Und sah kurz darauf ihre Augen durch die Balkontür blitzen, als sei das nicht genug gewesen. Ich schob nach. Sah sie dann jedoch nicht mehr, stellte aber irgendwann fest, dass der Teller wieder leer war.

Jetzt, man stelle sich das vor!, habe ich sogar einen Wäschekorb mit Kuschelzeugs hinaus gestellt, weil Katzen doch in diesen kalten Nächten es auch schön haben wollen. Sicherlich ist das Quatsch, weil ich doch bei aller Skepsis annehme, dass ihre Besitzer auch irgendwelche Vorkehrungen getroffen haben werden.

Aber ja, ich wurde um den Finger gewickelt.

Obwohl ich doch eigentlich keine Katzen mag.

Was darf Kunst?

In den letzten Jahren wird diese Frage ja hochkritisch betrachtet.

Dürfen nicht-Schwarze Dolmetscher Texte von Schwarzen übersetzen?

Dürfen nicht-Schwule im Film Schwule darstellen? (Tom Hanks erklärte vor einiger Zeit ganz korrekt, dass er die Rolle in Philadelphia, die ihm einen Oscar, den Golden Globe und den MTV Movie Award einbrachte, heute nicht mehr annehmen würde, weil ein nicht-Schwuler diese Rolle nicht spielen sollte.)

Weiße Sänger sollen keine Rasta-Frisuren tragen dürfen.

Und der Dinge mehr.

Bei all dem geht es um Identität und vermeintliche Kulturaneignung und also die Frage: soll und darf ich mich als Kunstschaffender an Themenbereiche wagen, die mir auf Grund meiner Herkunft und persönlichen Geschichte verschlossen sind?

Man müsse, so heißt es im Sprichwort, in den Schuhen des Anderen gegangen sein, um sein Leben zu verstehen. Und dem gemäß wird in den letzten Jahren zunehmend auf Identitäten geschaut.

Die Diskussion ist letzthin wieder aufgebrandet als der Roman „Gittersee“ erschien.

Da schreibt eine 31-jährige Westdeutsche über die DDR der endsiebziger Jahre.

Und wieder einmal regt sich bei den betroffenen ehemaligen DDR-Bürgern ein leichtes Unbehagen. Warum darf die das, wo doch alle anderen hübsch bei ihrem eigenen Erfahrungskreis bleiben sollen? Nicht genug damit erstellt Ingo Schulze (geb.1962 in Dresden, Autor), dem das Manuskript von seinem Verlag, der auch Gneuß (Autorin „Gittersee“) auflegt, vorgelegt wurde, eine sogenannte „Mängelliste“ mit historischen Ungenauigkeiten. Denn Gneuß ebenso wie damals von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) oder auch Jan Weiler („Der Markisenmann“) unterliegen einem gravierenden Irrtum, nämlich dem, dass sich die DDR nicht entwickelt habe. Art und Häufigkeit der Stasi-Bespitzelung sind demnach praktisch immer den sechziger Jahren entlehnt, wohingegen die Romane und Filme sich gern auf die Endziebziger und Achtziger beziehen, in denen alles ganz anders war, um die spannende Kurve zur Nachwendezeit noch einflechten zu können.

Charlotte Gneuß hingegen beklagt, dass es schmerzhaft sei, nur immer von Fehlern und Mängeln zu hören, wo es sich doch um die reellen Erfahrungen ihrer Eltern handele, die Ende der Siebziger die DDR verließen.

Die Debatte um den, insgesamt sehr gelobten, Roman richtet sich folglich auf die Frage, ob Nicht-Betroffene Bücher über ein Land schreiben dürfen, das sie (Gneuß ist Jg.1992) nicht einmal mehr erlebt haben. Und endet mit der – angesichts der obigen Ausführungen – erstaunlichen Aussage: Sie dürfen. Bei Donnersmarck, bei dem sich die Frage schon auch gestellt hatte, tat sie das übrigens auch. Immer mit dem Anhängsel, die Geschichte sei ja „fiktional“, was – zugegebenermaßen – ja irgendwie auf die meisten Filme und Bücher zutrifft. Halt bloß, dass da nicht so getan wird, als ginge es um tatsächliche Geschehnisse. Seit „Das Leben der Anderen“ denkt vermutlich die ganze Welt, in der DDR sei es so gewesen, was aus vielerlei Gründen nicht stimmt. Wohingegen sich Gneuß im selbst geschaffenen Widerspruch zwischen „fiktional“ und „reelles Leben der Eltern“ windet.

Die nicht-stimmigen Fakten in ihrem Buch sind übrigens beileibe sind nicht so gravierend wie die bei Donnersmarck, dessen Geschichte nicht funktioniert hätte, wenn seine Hauptfigur nicht gleichzeitig Lehrender (der Stasi-Schüler), Lauscher (der selbst transkribiert) und Verhörer gewesen wäre. So etwas gab es bei der Stasi, wo man sehr auf Aufgabentrennung setzte, schlicht nicht. (Dass Donnersmarck im Umgang mit der Filmfigur und Person Martina Gedeck Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wurde, lassen wir jetzt mal außen vor.)

Gneuß irrt sich in Kleinigkeiten des Alltags. In der Elbe, macht Schulze geltend, habe man damals wegen des Drecks nicht baden können (Umweltverschmutzung war dort durchaus ein großes Thema.) und man habe im Osten nicht „lecker“ gesagt oder „passt schon“. Welchbeides Gneuß läßlich findet und der besseren Lesbarkeit für heutige junge Menschen zuschreibt.

Nun gut, jedenfalls ist es jetzt Schulze, der mehr oder weniger am Pranger steht. Unter anderem, weil Charlotte Gneuß, die auf der Shortliste des Deutschen Buchpreises 2023 stand, dort angesichts der Mängelliste, die auf unklaren Wegen zur Jury fand, nun nicht mehr dort steht.

Die Frage, wer was darf und seine Kunst als wie „reell“ oder fiktional stehen lassen darf bzw. kennzeichnen muss, ist damit noch lange nicht geklärt.

„Das Leben der Anderen“(2006) jedenfalls ist heute Schulstoff und es darf bezweifelt werden, dass Lehrer den Unterschied zwischen Realität und Fiktion hinreichend vermitteln oder selbst erfassen.

Manchmal muss es eben weh tun

Dieser Tage ist es ja wieder aktuell, über Impfungen zu reden. Grippe, Corona (Malaria, wenn auch nicht hier). Beides zusammen? Kombinierter Impfstoff? (Kommt erst frühestens 2025.) Und, ja, das Leben ist eines der Gefährlichsten. Und überhaupt.

Von Malaria habe ich keine Ahnung. Irgendwer erzählte, man könne es mit Chinin bekämpfen. Chinin ist, war früher in Tonic-Water. Aber ist ja auch egal. Früher gabs auch grüne Brause, die mit Waldmeister hergestellt wurde, das irgendwann als krebserregend identifiziert wurde.

Das Leben ist eines der Gefährlichsten …

So oder so.

Es gibt Dinge, die wir selbst tun können.

Z.B. diese Sache mit der Grippe. Natürlich kann jeder sich impfen lassen gegen was auch immer. Aber gleichzeitig sollte klar sein, dass nicht jede Erkältung eine Grippe ist. Und auch, dass nicht jede Impfung, die auf dem Vorjahres-Virus basiert, gegen den von diesem Jahr hilft, denn Viren verändern sich. Immerzu. Imgrunde sind Grippeschutz-Impfungen also Blödsinn. Sie beziehen sich fast immer auf den Virus des letzten Jahres, während der von diesem Jahr ungehemmt wütet.

Wir reden also nicht von Grippe, die übrigens weitaus seltener zuschlägt als angenommen (z.b. 1918), sondern von stinknormalen Erkältungen. Derer kann man Herr werden. Ganz ohne Impfungen, Tabletten und Co.

Ich selbst hatte seit allerhand Jahren keine mehr, was wohl daran liegt, dass in Fällen äußersten Missbefindens mir die Erkenntnisse früherer Jahre eingefallen sind. Ich dachte damals, dass Menschen Jahrhunderte, gar Jahrtausende lang auskamen ohne Aspirin und Penicillin. Ok, sie hatten eine durchschnittlich sehr geringere Lebenserwartung als wir. Aber sie starben dennoch nicht an jedem Scheiß. Wie machten die das?

Und da ich schon lange Zeit eine Affinität zu asiatischen Gepflogenheiten hatte, sah ich mich um.

Wenn du, las ich, Halsschmerzen hast, nimm Zeigefinger und Daumen und greife damit nach deinem Kehlkopf. Reibe ihn nach oben und unten. Eine Zeit lang. (Das Dumme an diesen Beschreibungen ist die Tatsache, dass sie selten sehr konkret sind.)

Bei Schnupfen soll helfen, was ich selbst intuitiv tue: Man nehme ebendiese Finger und reibe mit ihnen den rechten und linken Nasenflügel, wodurch sich allsogleich evtl. Juckreiz mindert und der Fluss der Flüssigkeit eine gedeihliche Entwicklung nimmt.

Bei Husten suche man das „Loch“ unterhalb der Kehle und messe fünf Finger lang nach unten. Dieses drücke man mit kreisenden Bewegungen eine Zeit lang und wird feststellen, dass sich Reiz und Belag lösen. Alternativ gibt es einen Punkt auf dem Rücken auf nahezu der gleiche Höhe, für den man jedoch einen Partner braucht. Man selbst erreicht ihn nicht.

Akupressur, kann ich bestätigen, ist eine feine Sache. Man heilt damit so einiges. Sogar, Tärää!, Zahnschmerzen. Wie ich vor einer Reihe von Jahren erfuhr, als die Umstände blöde waren. Es dauerte zwar 20 Minuten und hat auch ein bisschen weh getan. Aber es hielt an für einige Tage. Bis der Zahnarzt wieder offen hatte.